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Buntes Blatt. Bild von mir. |
Folgendes passierte: Ich hatte, ich weiß nicht genau woher, eines dieser Gratis-Parfümpröbchen-Röhrchen rumliegen. Und ich hatte die aktuelle ZEIT herumliegen. Beides auf dem Küchentisch. Ich brauchte den Küchentisch für irgendetwas, ich weiß nicht mehr genau, wahrscheinlich, um Essen darauf abzustellen, jedenfalls wischte ich den Kram auf den Fußboden. Aß. Stand auf. Lief über die Zeitung, die auf dem Boden lag, und über das Parfümpröbchen-Röhrchen, das irgendwo zwischen den Seiten versteckt war. Und stellte fest: Die ZEIT hat ganz ausgezeichnete Saug-Eigenschaften. Der Blätterwald, der die Woche über bei mir rumlag, roch männlich-moschusartig, vielleicht auch würzig, generell aber eher unangenehm.
Es gilt wieder: Ich möchte gar keine einzelnen Artikel kritisieren - es gibt gute, es gibt schlechte, lange Reportagen, kurze Notizen, bekloppte und interessante Meinungen, das meiste ist irgendwie so mittendrin. Nichts, was ich mit riesigem Gewinn gelesen hätte, vor allem im Feuilleton liegt die Themenauswahl manchmal extrem quer zu dem, was ich eigentlich lesen möchte - zu wenig Pop, zu wenig Gegenwart, zuviel Abfeiererei von Toten und Nischen - andererseits sind das aber auch Sachen, die ich sonst vielleicht nie gelesen und gewusst hätte.
Mir war, in den letzten paar Jahren, in denen ich Nachrichten hauptsächlich im Internet gelesen habe, gar nicht so sehr klar, wie sehr Zeitungen kuratiert sind. Das heißt, es war mir schon klar, aber mir gar nicht so sehr klar, wie sich das anfühlt: Nicht die Wahl zu haben. Das ist etwas ganz anderes wie als fleißiges Bienchen über die internationalen Netz-Textblüten zu fliegen und mal hier, mal da rumzubefruchten, nur das zu lesen, was ich will. Wenn ich nicht die Wahl habe, fühlt es sich für mich an, als müsste ich die Zeitung erobern.
Das ist nicht unbedingt etwas schlechtes - ich erobere gerne Texte, Ausstellungen, Theaterstücke, Filme, ich erobere gerne Dinge, denen ich ausgesetzt bin. Ich mache sie gerne zu meinen. Auch das ist etwas, was ich aus dem Umherschwirren im Netz gar nicht mehr so kenne: Sich einen Text aneignen, ihn richtigehend zu erobern, weil er halt nun einmal da ist, dieser Text, und nichts anderes, keine Verlinkungen, keine anderen Möglichkeiten. Sich die Zeitung aber auch ganz anders zu erobern: Wenn sie hier ankommt, dann ist sie sauber gefaltet, ungeknittert, kurz: Noch nicht meine. Wenn ich sie weglege, ist das Ding auseinandergerupft, zerknittert, dann hat es eine Woche lang mit mir gelebt, und das sieht man auch (oder riecht es). Und wenn ich den Papierberg ins Altpapier räume, dann fühle ich mich, als müsste ich eigentlich noch einmal draufsteigen, und napoleonmäßig in die Ferne schauen. Auch das ist ein Gefühl, an dass ich mich nur dunkel erinnern kann: Dass die Zeitung auch irgendwann mal zu Ende ist. Dass man es auch mal geschafft hat.
Folgendes wird heute noch passieren: Ich werde die Moschuszeitung, die zerlesene, tote Ausgabe unten in die blaue Tonne schmeißen. Ich werde zum Briefkasten gehen, und mir die neue holen. Und sie wieder erobern. Jede Woche wieder. Und jede Woche wieder der Napoleon der Printzeitungen sein, der sich ins Unbekannte wagt.
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