Dienstag, 29. Januar 2013

We were promised hoverboards

So sieht es aus, das Printprodukt. Bild von mir.
Im Jahr 1910 erschien ein wunderbares Buch namens "Die Welt in 100 Jahren" , in dem Experten der damaligen Zeit sich Gedanken dazu machen, wie das jetzt wohl alles in der Zukunft aussieht. Zwei, drei dieser Leute treffen unsere Welt ziemlich genau - vor allem, wenn es um Kommunikation geht, Handys, Videotelefonie, solche Sachen. Wieder anderes ist extrem charmant ins Klo gegriffen (in einem meiner Lieblingstexte geht es um die großen Zeppelinkriege zwischen dem britischen Empire und dem japanischen Kaiserreich, grandiosester Steampunk). Ich habe auch mal eine Rezension dazu geschrieben.
2011, anlässlich des Literaturfestes Niedersachsen zum Thema "Zeit" versuchten 8 Junge Autoren (Klaus Hausbalk, Dana Buchzik, Victor Witte, Robert Wenrich, Marc Oliver Rühle, Juliana Kálnay, Stefan Vidovic und, klar, ich) das Ganze nochmal zu machen. Hier kann man das Büchlein kaufen, hier kann man ein Video sehen, in dem ich es vorlese, und mein Text daraus geht so: 




Der Tod und die Hoverboards

Ich weiß noch, wie es war, als mir klar wurde, dass ich sterblich bin, der Augenblick, in dem ich begriff, dass der Tod sich nicht nur auf die Hamster, Kaninchen und Meerschweinchen beschränkte, die ich damals alle zwei bis drei Jahre bewegungslos in ihrem Käfig fand. Ich weiß nicht, ob mein Vater zu dem Zeitpunkt schlief, aber das ist ein Bild, das ich von meinem Vater habe: Wie er in seinem Sessel sitzt, die Beine hochgelegt, den Kopf schief auf den Schultern, das Päckchen gelben Javaanse-Jongens-Tabak und den Aschenbecher sorgfältig auf der Brust ausbalanciert. Wir hatten und einen Film ausgeliehen, und sahen ihn uns an. Wahrscheinlich hat man von unten die Stadt gehört: Mein Vater wohnte damals im 10. Stock eines Hochhauses irgendwo in Bremen. Es war der Film, den wir uns für den Abend ausgeliehen hatten, der mich daran erinnerte, dass ich irgendwann einmal sterben würde. Der Film hieß Highlander.

Montag, 21. Januar 2013

Vom Rand der Tanzfläche

Im letzten Sommer wurde ich gebeten, für die Absolventenzeitschrift der kulturwissenschaftlichen Studiengänge der Universität Hildesheim einen kleinen Text zu schreiben.  Ich dachte: Schön, Texte schreiben, das kann ich. Ich mag Texte schreiben. 
Außerdem verdanke ich der Uni eine Menge, und habe wenig davon zurückgegeben. Außerdem gab es, was mich etwas überraschte, tatsächlich auch Honorar. Alles passte zusammen. So lange, bis ich das Thema erfuhr: Netzwerke. 
Die - klar - wichtig sind, vor allem wenn man in diesem irgendwas-mit-Medien-Berufsfeld arbeitet. Aber das ist weder mein Thema, noch meine Stärke, noch irgendetwas anderes. Ich nahm es trotzdem in Angriff, und versuchte, meine Schwächen durch einen charmanten, plaudrigen Ton wieder wett zu machen, und mich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich habe beim Schreiben in bisschen was gelernt. Das reicht mir eigentlich schon. Vielleicht ja auch noch jemand anders. Wer weiß.
Im Originallayout kann man ihn übrigens hier lesen. 


Knüpfstücke
Lose Ideen zu alten und neuen Netzwerken


Wir sind alle nur aus Knoten gemacht.
Bild von hier.
Manchmal bekomme ich Facebook-Nachrichten, in denen Leute Unmögliches von mir verlangen. So was wie: „Wir bräuchten noch einen Text über Netzwerke. 10.000 Zeichen. Du hast vier Wochen, das ist doch ok, oder? “
Ich dachte: Netzwerke. An sich. Das stemmt doch kein Mensch.
Und ich dachte: Warum ich? Ich bin nicht gut darin, gesehen zu werden. Ich stehe meistens am Rand der Tanzfläche, mit einer Flasche Beck's in der Hand. Da suchen die meisten Leute nicht nach mir, die meisten Leute suchen dort nach gar nichts. Netzwerken ist mir suspekt. Menschen sind mir suspekt.
Dann aber kam eine zweite Facebook-Nachricht dazu, zehn Minuten später. In der Nachricht stand etwas von einem Honorar. Da dachte ich: Es ist eine Herausforderung. Vor denen habe ich mich noch nie gedrückt.
Und ich dachte: Ich bin auch gut darin, bei diesen Gelegenheiten, wo ich mit einem Beck's in der Hand am Rand der Tanzfläche stehe, als letzter zu gehen.
Aber dazu später.

Sonntag, 20. Januar 2013

Self Publishing, Kritik

Vor ein paar Tagen veröffentlichte ich einen Artikel über Self-Publishing bei Zeit Online, und seitdem verfolge ich aufmerksam die Diskussion, die darum entstanden ist, z.B. hier, hier oder hier - ich möchte nicht sagen, dass er Artikel viel gebracht hat, oder besonders weit gewandert ist, trotzdem hat, in dem kleinen Kreis derjenigen, die sich beruflich oder freizeitmäßig, als Autor oder sonstwie mit Self Publishing befassen, er doch etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ich dachte. Und auch mehr Kritik.

Größtenteils waren die Rückmeldungen positiv, auf Facebook, auf Twitter, in den Kommentaren auf Zeit Online, ich bekam sogar persönliche Lobesmails von Menschen, die ich überhaupt nicht kenne. Die Autoren, so kann man das zusammenfassen, waren zufrieden, dass sich ein Mainstream-Medium wie die Zeit mit dem kleinen, vielleicht etwas schmuddeligen Bruder (der schmuddeligen, kleinen Schwester? Man weiß es nicht) des Verlagsliteraturbetriebs befasst, die Vertreiber von selbst publizierten Büchern waren - zumindest die meisten - aus genau demselben Grund zufrieden. Sowas ist schön, ich habe immer ein bisschen Angst davor, dass ich etwas blödes schreibe, und sich sofort ein wütender Internet-Mob bildet und anfängt, mich zu beleidigen, was in diesem Fall nicht passiert ist.

Tatsächlich aber scheine ich, was mir vorher gar nicht so klar war, mit dem Artikel - der sich eigentlich mit dem Potential von Self-Publishing für die belletristische Literatur befassen sollte, also aus Richtung der Literatur versucht zu argumentieren - mitten in ökonomische Interessen hineingeschlittert zu sein. Was so gar nicht beabsichtigt war, aber im Nachhinein natürlich auf der Hand liegt. 

Die Hauptkritikpunkte an dem Artikel waren zwei Formulierungen. 

Das eine war, dass ich BookRix, epubli und Amazon Kindle Desktop Publishing als die drei "großen" deutschen Self-Publishing-Plattformen bezeichnet habe. Zu Recht wurde zum Einen eingewandt, dass - bei oberflächlichem Lesen - man den Eindruck gewinnen könnte, es gäbe keine anderen Self-Publishing-Plattformen, wie z.B. den Indie-Anbieter XinXii. Nun ja, ich hoffe immer auf aufmerksame Leser, und denke, dass das Wort "groß" mit einschließt, dass es auch kleinere Anbieter gibt, die ich in dem Artikel nicht alle aufzählen konnte. Die 5000 Zeichen, die ich hatte waren auch so schon zu wenig, genau deshalb habe ich auch Outtakes online gestellt
Zum Anderen bin ich -von den jeweiligen Pressevertretern - darauf hingewiesen worden, dass BookRix und epubli - wenn man es von der Anzahl der verkauften und Angebotenen Bücher her brachtet - gar nicht die größten Anbieter sind, sondern beispielsweise BoD und tredition weit mehr eBooks anbieten und verkaufen.  
Tatsächlich, fand ich,  sind solche absoluten Zahlen bei dem Thema und dem Fokus auf Belletristik etwas problematisch: Es war mir  wichtig zu sagen: Es gibt Self-Publishing, das ist nicht mehr nur ein Spielzeug, sondern eine ernstzunehmende Publikationsform, wo literarische Schätze gehoben werden können, wenn man nur lange genug sucht. Tatsächlich war es mir wichtig, zunächst einmal Vorurteile abzubauen. Um das zu exemplifizieren habe ich erst einmal gar nicht nach großen Self-Publishing-Diensten in dem Sinn gesucht, dass "groß" sich auf das große Angebot von eBooks bezieht - denn auch das ist, da ich mich nur mit zeitgenössischer Belletristik befassen wollte, kein Kriterium, und wenn doch, eines, das erst relevant würde, wenn man aus dem Angebot gemeinfreie Klassiker, Sachbücher und Special-Interest-Bücher abzieht. 
Es ging mir zunächst, und hauptsächlich um erfolgreiche, zeitgenössische Belletristikautoren ohne Veröffentlichungen in klassischen Verlagen.  Da stößt man natürlich erst auf Jonas Winner (der für mich für ein Interview leider nicht verfügbar war) und dann auf Jana Falkenberg bei epubli. Gleichzeitig habe ich mich in aktuellen Veröffentlichungen (Buchreport, Börsenblatt etc.) nach häufigen Erwähnungen von Self-Publishing-Diensten umgesehen. Und bei den dreien, die ich erwähne, verdichteten sich die Erwähnungen. So kommt dann das "groß" zustande: Nicht die lieferbaren Bücher waren mein Kriterium, sondern die Erwähnungen in meines Erachtens relevanten und unabhängigen Publikationen. Ich sehe ein, dass das ein sehr subjektives Kriterium sein kann, und auch eines, dass man kritisieren kann. Andererseits halte ich das für wichtiger als absolute Zahlen: Es ging mir darum, wie viel Aufmerksamkeit die Plattformen generieren. 
Ein anderer Punkt, der da ein bisschen mitschwingt, und auch in den Kommentaren erwähnt wurde, ist, dass epubli wie die Zeit zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört. Ich würde jetzt sagen, dass ich den Artikel ursprünglich gar nicht der Zeit angeboten hatte, sondern dem Tagesspiegel, der aber, wie ich dann erfahren habe, Dieter von Holtzbrinck, dem Halbbruder gehört, der auch 50% an der Zeit hält
Ich würde jetzt sagen: Ich kann als freier Journalist meine Loyalitäten nicht so billig verkaufen und so ungeniert Schleichwerbung platzieren, aber das glaubt mir wieder keiner, darum sage ich: Es gab in diesem Punkt Bedenken seitens der Redaktion, woraufhin ich den Artikel noch einmal ein wenig geändert und epubli etwas weniger Platz eingeräumt habe, und außerdem ist es als freier Journalist gar nicht so einfach, für etwas zu arbeiten, das nicht den Herrschaften von Holtzbrinck gehört. Tatsächlich freut es mich, dass die Kommentatoren von Zeit Online das bemerkt haben. 

Die andere Formulierung war: Auch viele deutsche Blogger, die sich mit Rezensionen von Neuerscheinungen befassen, stehen solchen Büchern ablehnend gegenbüber. Ich belegte das mit einem Link auf diesen Post in einem großen, deutschen Literaturblog. Woraufhin dort dieser Post erschien, in dem es heißt:  
"Allerdings kolportiert der Beitrag [mein Artikel, J.F.] die Behauptung, dass „viele deutsche Blogger, die sich mit Rezensionen von Neuerscheinungen befassen“, Büchern von Selfpublishern „ablehnend gegenüber“ stünden. Dass sich die Aussage direkt auf den SteglitzMind-Blogpost vom 9. November 2012 bezog, verwunderte mich doch sehr.
Wo steht dort geschrieben, dass viele Buchblogger Indie-Publikationen keinen Respekt zollen, ihnen gar ablehnend gegenüberstehen? Wurde gar das Fazit des Beitrags übersehen, in dem zu lesen steht, dass Blogger keine Unterschiede machen und von Autoren – egal ob Indie-, Hybrid- oder Verlagsautor – in erster Linie Qualität einfordern. Warum fiel mein Versuch, ein differenziertes Stimmungsbild wiederzugeben, pauschalisierenden Schlussfolgerungen anheim? Neigt man in der Eile des Gefechts dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten?"

Mal abgesehen vom eher umständlichen Stil - ja, genau das steht dort, mit zwei oder drei Ausnahmen, und immer wieder bricht in den Beiträgen eine größere Skepsis gegenüber selbst verlegtem als gegenüber klassischen Verlagsveröffentlichungen durch. Zumindest lese ich das so, aber deshalb sind die Beiträge ja hier verlinkt: Zum Selberlesen, zum Selbereinbildmachen.
In dem anderen verlinkten Post, in dem es ein Stück weit auch um meinen Artikel geht, ist die Skepsis dann aber wieder nicht mehr so groß, was mich auch sehr freut. Vielleicht wird es ja noch was mit dem Self-Publishing.



Freitag, 18. Januar 2013

Betonkreuzung


Schick gesetzte schicke Zeitschrift.
Bild von mir.
Ich mache von Zeit zu Zeit ja auch in Prosa, und freue mich immer, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, irgendwem irgendwie irgendwo eine Geschichte zu erzählen. Diese hier entstand ursprünglich, weil die Hannoversche Allgemeine Zeitung angefragt hatte, ob es nicht möglich wäre, eine Kurzgeschichte mit Bezug zu Hannover zu schreiben, die dann als Fortsetzungsgeschichte gedruckt werden sollte. Da ich zu dem Zeitpunkt sowieso gerade an einer Reportage über das Ihme-Zentrum schrieb (für das meine Faszination immer noch ungebrochen ist), und ich beim Schreiben feststellte, dass die Reportage nicht den Platz für die Geschichten bieten konnte, die über und in diesem Betonklotz zu erzählen sind, schob ich auch gleich noch einen Prosa-Text hinterher, der dort spielt (tatsächlich ist es so, dass, wenn ich gezwungen wäre, den Rest meines Lebens nur noch über einen Ort zu schreiben, ich das Ihme-Zentrum wählen würde). 
Das ist der eine Kreuzungspunkt, an dem dieser Text für mich liegt. 
Der andere Kreuzungspunkt geht so: Weil eine Zusammenarbeit mit der Hannoverschen Zeitung leider nicht zustande kam, lag der Text eine auf meiner Festplatte rum, so lange, bis ich eine Anfrage von der Bella Triste bekam, ob ich nicht noch etwas passendes rumliegen hätte. Ich hatte, und schickte den Text hin. Er gefiel der Redaktion. Die letzten Änderungen an dem Text - das Ende, z.B. schrieb ich komplett um - machte ich im Januar 2012, als ich gerade mit Lungenentzündung im Krankenhaus lag, und mit 38 Grad Fieber. Ich glaube, es hat dem Text gut getan: Eine kleine Hommage an die Lovecraftschen Überwesen, erschienen in der Bella Triste Nr. 32 (man kann die Ausgabe auch dort noch bestellen, das lohnt sich nicht nur wegen der Texte, sondern auch, weil sie verdammt schön ist. Wirklich. Gut ausgegebenes Geld).




Unter den Türmen hinter der Stadt


Manchmal hält der Aufzug zwischen den Stockwerken, dann muss ich an Romy denken. An den Gang im fünften Stock, wo sie zwischen den Kunden ihre Zigaretten rauchte. An den rosa Bademantel, den ihre Kunden nie zu sehen bekamen. An das Stückchen schwarze Spitze, das manchmal darunter hervorschaute, und das ich nie ganz zu sehen bekam. Wenn Romy keine Kunden hatte, rauchte sie, und man kämpfte sich in ihrem Gang durch Qualm, meistens mittwochs und am Monatsende.
Der Aufzug ächzt, wenn er anhält, ein langgezogenes Ächzen, fast eine Stimme, ein bisschen klingt es, als beklage die Ruine sich. Ich habe Ruinen schon immer geliebt, das hatte ich mit Romy gemeinsam. Das hier, sagte sie, als ich sie einmal im Flur traf, eingewickelt in diesen schäbigen rosa Bademantel, das hier, sagte sie, das Haus, die Ruine, alles, was hier von den Wänden abbröckelt, das ist, als hätte jemand mal gesagt, dass alles irgendwann besser wird. Aber was danach passiert, davon hat niemand gesprochen. Es gibt hier nur noch Geheimnisse, die in Wänden rascheln und vielleicht doch nur Ratten sind, oder Mäuse.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Böse Killerspiele, vielleicht

Kann denn nicht einmal jemand an die Aliens denken?
Screenshot aus diesem Spiel.
"Mir ging es immer um Beherrschung. Die Beherrschung des Spiels, der Regeln, der Präzision, die erforderlich ist, um einer anderen Spielfigur den Kopf herunterzuballern, die Reflexe, die notwendig sind, damit meine Spielfigur das Spiel überlebt, das Kitzeln im Hinterkopf, wenn Instinkte und Koordination perfekt zusammenspielen. Es geht nicht darum, etwas niederzumetzeln. Im Gegenteil."
Mehr hier.

Ich hatte das ja schonmal: 2007 war ich als Stipendiat zur Festivalzeitung der Schillertage in Mannheim eingeladen, das Thema war Bestie Mensch. Ich schrieb damals einen Essay, um mich dort zu bewerben. Weil ich Festivalzeitungswahnsinn und den damit verbundenen Schlaflosigkeitsrausch immer sehr gerne mochte, und immer noch sehr gerne mag, bewarb ich mich 2009 einfach nochmal, das Thema war "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt". Ich koppelte ein bisschen Spieltheorie mit der Killerspieldebatte, die damals wegen irgendeines Amoklaufes mal wieder aufgeflammt war, weil der Täter - selbstverständlich - "Counter Strike" gespielt hatte.

Ich bin ein großer Freund von Ballerspielen, bzw. Ego-Shootern, und wollte ein bisschen zur Ehrenrettung beispringen - vor allem, weil ich die ganze Debatte eher schwachsinnig finde, und mittlerweile ist das ja auch allgemein akzeptiert: Dass die Spiele nur begrenzt was mit Amokläufen zu tun haben, wenn überhaupt, sondern die Ursachen eher individuell in komplizierten sozialpsychologischen Geflechten gesucht werden müssen. Ich stellte damals, mit Johan Huizinga, die These auf, dass Spiele - ganz allgemein gesprochen - vielleicht eher eine Zuflucht als eine Ursache sein könnten, weil ein Spiel mit seinem festgesetzten Regelwerk immer ein Stück Ordnung in einer chaotischen Welt ist. 

Zugegeben, das ist eher ein Gedankenspiel, eine rhetorische Drehung, wenn man so will, aber eine, die - finde ich - nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. 

Sonntag, 13. Januar 2013

Von der Bühne runter gespiegelt

Vor ein paar Tagen war ich als Theaterkritiker unterwegs, und musste in Celle das Stück "Ithaka. Schauspiel nach den Heimkehr-Gesängen der Odyssee" anschauen und besprechen. Da es für nachtkritik.de war, musste es noch in der Nacht fertig werden, und aus bestimmten Gründen war das für mich zu diesem Zeitpunkt nicht so richtig erfreulich. Deshalb, und weil das Celler Schlosstheater bei solchen Premieren ein, finde ich, eigenartiges Publikum hat, das noch ein bisschen härter drauf ist als anderes Premierenpublikum, und weil das so wunderbar in das Schloss passt, postete ich in der Nacht noch auf Facebook: "Wieder sehr stark: Der Drang, übers Publikum zu schreiben, und nicht übers Stück. Schlosstheater Celle, du schaffst es immer wieder." Dies ist der Text dazu, sozusagen ein Spiegeltext zu der oben verlinkten Kritik. 



Heimkehrgesang

Wenn du vorher in Wolfsburg und Lehrte warst, ist der Celler Bahnhof auch nur irgendein viel zu flaches Betonding irgendwo in Niedersachsen mit einer unterdurchschnittlichen Anzahl an Gleisen.
Wenigstens gibt es einen Witz. Kurz hinter dem Bahnhof ist das Hotel Neun ¾, ja, genau, wie in Harry Potter, nur Gleis statt Hotel, ihre Schrift auf dem Schild haben sie da auch her.
Das Schloss. Irgendwo da drin ist ein Theater.
Bild von hier.
Also, was? Ich komme an. Zwei Umhängetaschen, eine rechts, eine links, eine braun, eine blau-grau, baumeln an mir rum. Ich bin müde, jetzt schon. Der Auftritt am Tag vorher, Lesung, Luftgitarre. Eine kurze Nacht. Bier. Den ganzen Vormittag Botho Strauß gelesen. Vier Stunden Zugfahrt. Wenigstens bin ich nicht mehr mit in diesen Laden namens Trinkteufel gegangen. Pete Doherty ist da mal abgestürzt, sagt das Internet. Mich hätte das garantiert umgebracht. Wenn nicht gestern Abend, dann jetzt.

Vom Bahnhof bis zum Schlosstheater ist es nicht weit, eine Viertelstunde zu Fuß vielleicht, aber es ist kalt geworden, ich dachte es sei nur ein Berlin kalt, weil es in Berlin immer kalt ist, wenn ich da bin, aber es ist überall kalt. Schnee. Ich bin zu dünn angezogen, als ich losgefahren bin, war noch Frühling. Im Celler Theater läuft die Odyssee, nach Botho Strauß, und ich soll sie besprechen. Im Moment fühle ich mich eher selbst wie Odysseus, als er endlich in Ithaka ankommt und feststellt, dass sie ganze Scheiße immer noch nicht vorbei ist.

Mittwoch, 9. Januar 2013

Self Publishing, Outtakes


"Youtube hat gezeigt, was passieren kann, wenn Crowd ermächtigt wird, und die Veröffentlichungsprozesse so einfach wie möglich gemacht werden: Eine Menge Schrott wird angespült, aber andererseits auch kreatives Potential angezapft, von dem man gar nicht wusste, dass es da war."
Mehr hier

Der Artikel, als er noch jung war.
 Bild von mir
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Heute erschien bei Zeit Online der oben verlinkte Artikel von mir. Es geht um das Potential von Self-Publishing, darum, wie und wo die Möglichkeiten speziell in Deutschland sind.

Ich habe dafür mit Autoren gesprochen und geschrieben, und mit den Presskontakten der großen Self-Publishing Plattformen. Ich habe mir die Finger wundgegooglet, um tatsächlich zu begreifen, was das ist, dieses Self-Publishing, und was das soll. Leider hat es - wie das nun mal so ist - für meinen Geschmack viel zu wenig in den Artikel geschafft. 

Aber dafür gibt es ja das Internet. 
Hier sind nun also meine abgetippten Notizen von Telefongesprächen und ein paar kopierte Emails mit Fragen, die ich an Autoren und Pressesprecher hatte. Und eine kleine Linkliste am Ende. Alles natürlich etwas ungeordnet und wirr, wie es sich für Outtakes gehört. 

Sonntag, 6. Januar 2013

Im Laufhaus

Stillleben mit Wasserhahn. Bild von mir.
"Hier kannst du sie an der Stange tanzen lassen, du kannst mit ihr hinten ins Separée gehen, vom Rest des Ladens getrennt durch einen halb durchsichtigen lila Vorhang, und sie setzt sich dort auf deinen Schoß. Du kannst dich mit hochnehmen lassen, in den ersten Stock, und dann macht Laila, oder wer eben gerade hinter der Bar steht, eine der  Eieruhren an, die dort aufgereiht stehen. Irgendwie muss man ja den Überblick behalten."
Zum ersten Teil der Reportage hier. Und zum zweiten Teil hier


In den Spielzeiten 2010/2011 und 2011/2012 war ich ein Teil des dramaturgischen Leitungsteams der Nachtbar, eines, so ist die Idee, jungen und frischen Late-Night-Formates am Theater für Niedersachsen in Hildesheim. Hauptsächlich geht es darum, die Studierenden der Hildesheimer Uni ins Theater zu holen, die sich normalerweise schlicht nicht für die hundertausendste Wiederaufnahme der "Physiker" interessieren, oder was gerade sonst für das gehobene Theaterabo-Publikum gespielt wird.

An der Bar spiegelt man sich in den Frauen. Bild von mir.
Weil, wer in Hildesheim studiert, meistens nicht aus der Stadt kommt, und sich oft auch nicht die Mühe macht, sie außerhalb studentischer Trampelpfade zu erkunden, war unserer Idee in der zweiten Spielzeit, die Stadt zu erkunden. Wir hatten regionale Biobauern zum Rote-Beete-essen da, wir luden örtliche Tanzgruppen ein, wir bauten einen Weihnachtsmarkt mit regionalen Produkten, Würstchen und einer Diskussionsrunde mit dem Hildesheimer Stadtmarketing

Und wir erkundeten das örtliche Rotlichtviertel. 
Der Filmemacher und Schauspieler Max Engel zeigte einen Film über das Pornokino, die Journalistin Stephanie Drees schickten wir in eine düstere Kaschemme, und ich erkundete den Table-Dance-Schuppen mit angebundenem Bordell.  Den Text, der dabei entstand, fand ich zu schade, um ihn nur einem Abend einmal zu lesen, also bastelte ich noch eine längere Version, und schickte ich ihn ans TITEL-Magazin. 

Samstag, 5. Januar 2013

Krankengeschichte

So war das damals. Bild von hier.
Anfang 2012 hatte ich eine schwere Lungenentzündung, kombiniert mit einer Rippenfellentzündung, das geht öfter mal zusammen.
Ich hatte die Symptome lange für Rückenschmerzen gehalten, die ganze Sache viel zu lange verschleppt, so lange, bis ich eines nachts kaum noch atmen konnte und hohes Fieber bekam. Als es zuviel wurde, fuhr ich in die Notaufnahme, woraufhin man beschloss, mich für zwei Wochen dort zu behalten, mir Dinge in den Rücken zu stecken, um herauszufinden, welche Farbe die Flüssigkeit in dem Zwischenraum zwischen meiner Lunge hatte, die Bakterien mit zwei unterschiedlichen Sorten Antibiotika nicht nur versuchte loszuwerden, sondern sozusagen mit biologischer Kriegsführung hackte, und mir außerdem im Laufe einer Untersuchung das Zeug gab, an dem Michael Jackson gestorben ist [eine Droge, die ich nur weiterempfehlen kann].
Woher die Lungenentzündung kam, wusste keiner der Ärzte so genau, nur, dass sie ziemlich hartnäckig war. Aber als das Fieber mehr oder weniger nicht mehr so schlimm war, und die Schmerzen sich in Grenzen hielten, war das Krankenhaus nicht mehr wirklich unangenehm: Irgendwann hatte ich eine ganz vernünftige Bibliothek da, außerdem Internet, einen Laptop, dreimal am Tag annehmbares Essen, und ein Fernseher war sowieso da [tatsächlich war ich in dieser Zeit erstaunlich produktiv: Einen anderen, längeren Text habe ich da auch noch schnell fertig gemacht].
Das ist der Punkt, an dem die Anfrage kam, ob ich nicht einen Text für die 12. Ausgabe der Zeitschrift "Polar" schreiben wolle. Ich wurde gerade wieder gesund, ich konnte gerade wieder einigermaßen klar denken, und gesund werden hat ja auch immer etwas vom Aufwachen an einem klaren Morgen, an dem die Sonne scheint. Ich dachte: Super, ich liege hier eh nur im Bett rum, mache ich. Und schrieb diesen Text, während mir ein Tropf im Arm steckte, und langsam eine klare Flüssigkeit in meinen Körper tropfen ließ.





Fiebertraum von Neo-Tokyo

Heute Nacht hat es geschneit, zum ersten Mal in diesem Jahr. Die lila Tulpen am Fenster sehen vor dem weißen Hintergrund aus, als seien sie aus Plastik. Jeden Morgen schraubt die Schwester mir einen Schlauch in den Arm, eine durchsichtige Flüssigkeit läuft hinein, etwas gegen Fieber. Schöne Blumen, sagt sie, und während ich warte, dass die Flasche die über meinem Kopf baumelt, leer ist, lege ich den Kopf zur Seite, zu den Plastiktulpen, die nicht aus Plastik sind.
So. Nur mit Tulpen und Schnee. Bild von hier.
Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich an Neo-Tokyo: Ich denke an „Ghost in the shell“, ich denke an diese Szene, in der ein weiblicher Android sich – mit Seilen gesichert, so nackt, wie es die es der Markt zuließ – sich mit dem Rücken zuerst in das cleane, glühende Lichtermeer der Stadt stürzt.
Ich liebe die glänzenden Zukunftsstädte, denen man sich im Film von oben nähert, auf die man zufliegt, solange, bis man ganz am Boden ist, ganz unten, und sich fragt, wo der ganze Glanz eigentlich geblieben ist: Der Glanz in der der Dreck sind nur ein paar Sturzsekunden voneinander entfernt.
Noch zwei Tage, sagt die Schwester, während sie mir den Schlauch aus dem Arm dreht, dann müssen die weg. Sie meint die Blumen, aber ich verstehe nicht, woher sie das weiß.
Ich schlafe oft wieder ein, wenn die Schwester weg ist, solange, bis das Fieber sich gesenkt hat. Machmal träume ich von Neo-Tokyo, durch das ich falle, verbunden mit der Stadt durch Schläuche und durch Datenkabel die aus meinen Armen, Beinen, aus dem Rückenmark wachsen: Ich treffe andere Menschen, denen es genauso geht, aber wir verheddern uns mit unseren Kabeln nicht, wir wissen immer, wo der andere ist. Wir wissen immer, wo wir sind und meist auch, wer wir sind, obwohl das in Neo Tokyo nie ein großes Problem war. Wir wissen immer, wenn etwas aus Plastik ist.
Wenn die Tulpen wegkommen dann, nehme ich an, starre ich einfach stundenlang in den Schnee.