Zur Zeit plane ich mit dem wunderbaren eBook-Verlag mikrotext eine kleine, feine Publikation. Sie soll, wenn alles gut geht, im Winter/Frühjahr 2014 erscheinen. Es geht darum, dass in dem dem Band Studienabgänger der deutschen Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim beschreiben, wie das Leben so aussieht, wenn man diplomierter Schriftsteller ist.
Das ist der Rohschnitt zu meinem Text aus dem Band, ich fand ihn zu gut, um ihn nur in einem Medium zu publizieren.
Das ist der Rohschnitt zu meinem Text aus dem Band, ich fand ihn zu gut, um ihn nur in einem Medium zu publizieren.
Mein
Studium an der Universität Hildesheim brach ich an einem sonnigen Spätsommertag in Südfrankreich
ab. Ich saß auf einer Terrasse unter Maulbeerbäumen und Feigen, die
gerade begannen, von den Bäumen zu fallen und auf dem Boden zu
vergären, aber es war noch nicht schlimm. Wahrscheinlich trank ich
Pastis. Ich hatte an dem Tag einen Artikel fertig geschrieben, eine
Kurzgeschichte so gut wie fertig, ein paar gute Ideen in einen Essay
eingearbeitet, knapp die Hälfte der Texte war sogar bezahlt, und ich
dachte: Hey, eigentlich läufts doch ganz gut.
Auch eine Möglichkeit. Bild von mir. |
So,
wie ich mir das ausrechnete, war die Wahl damals folgende: Entweder,
ich höre mit dem Studium auf (ich hatte den Studentenstatus damals
sowieso nur noch aus steuerlichen Gründen), oder ich werfe der Uni
Hildesheim noch mindestens zwei Semester lang absurd überhöhte
Studiengebühren in den Rachen, um dann hinterher Titel und Abschluss
zu haben, aber auch nicht wirklich bessere Chancen als
Multifunktionsschreiberling in der großen, bösen freien Wirtschaft
da draußen.
Vielleicht
war es der Pastis, aber die Entscheidung fiel mir leicht. Und im
ersten Jahr bereute ich sie mehrmals, meistens, wenn die Auftragslage
gerade nicht so gut war, im Sommerloch, im Weihnachtsloch, überhaupt
in diesen ganzen Löchern, die so ein Jahr manchmal hat. In den
Löchern, in denen ich nur knapp mit der Miete, den Versicherungen
und dem Essen hinkam. Ich habe nie gehungert, aber manchmal gab es
tagelang nur Nudeln. Zeitweise hatte ich auch keine
Krankenversicherung, wurde dafür aber in namhaften Zeitungen,
Magazinen und Literaturzeitschriften publiziert.
Hildesheim
ist ein merkwürdiger Ort, aber muss man wohl niemandem erzählen. In
Hildesheim kann man beispielsweise den zukünftigen Theaterjungstar
und den zukünftigen Schriftstellerjungstar - beide dick beladen mit
Preisen, Stipendien und Ehre - dabei beobachten, wie sie zusammen in
einer Kneipe namens Zur Hütte sitzen und mit
heilig-hochironischem Ernst beobachten, wie der örtliche Alkoholiker
zu Andrea-Berg-Schlagern tanzt.
Hildesheim
war für mich nie eine Stadt. Es war immer eine Werkstatt, Tag und
Nacht erfüllt von dem klirrenden Gesang der aberhundert
Werkstattgespräche eigenartiger Künstlertypen jeder
Geschmacksrichtung, von denen viele noch nicht herausgefunden hatten,
dass sie eigentlich keine Künstler waren.
Hildesheim
ist aber auch, so schrieb es einmal eine Freundin, voller schwarzer
Löcher: Man geht in irgendeine Richtung, sagen wir, zum
restaurierten Martkplatz, und dann passiert etwas, und man ist
plötzlich ganz woanders, am Bahnhof, vielleicht. Solche Sachen
passieren ständig. Man kann dort gut verloren gehen.
Als
ich verloren ging, dauerte es so ein, zwei Jahre. Ich bequatschte
befreundete Kleinstverlage, mir ein Praktikum zu bescheinigen, dass
ich gar nicht machte. Ich nahm auf dieser Grundlage so viele
Urlaubssemester, wie die Studienordnung es erlaubte, um an meinem
Roman zu schreiben. Immer wieder riefen Professoren, Eltern und
Großeltern an um sich zu erkundigen, ob ich noch vor hätte, jemals
einen Abschluss zu machen. Ich sagte, sobald der Roman fertig sei.
Mein Geld verdiente ich da schon mit ein paar Artikeln hier und dort,
mit Kopierjobs an der Uni und als Veranstalter einer monatlichen
Late-Night-Reihe am Hildesheimer Theater. Außerdem wurde ich in
dieser Zeit ein international bekannter Luftgitarrist, ich trat damit
sogar in einem finnischen Werbespot auf.
„Verlaufen
ist gar nicht so lustig, wie man immer denkt“, sagte mir einmal
einer unserer Professoren. „Am Anfang ist es kein Problem, aber
schreib mal ein, zweihundert Seiten in die falsche Richtung. Dann
hast du ein Problem.“
Den
Roman habe ich abgeschlossen,jetzt, drei Jahre, nachdem ich das
Studium abgebrochen habe. Ob er gut ist, kann ich schon längst nicht
mehr sagen, ob er veröffentlicht wird, weiß nur das
Literaturbetriebsorakel.
Ich
lese manchmal Artikel über Menschen in diesen sogenannten prekären Lebensstituationen. Das sind immer Texte, die ein wenig schmierig
sind von Rechtschaffenheit, geschrieben von Menschen, die er Meinung
sind, dass, wenn sie sich schon jeden Tag den Arsch aufreißen, sie
auch davon leben können sollten. Ich weiß nicht, ob sie Recht
haben: Vielleicht zählt der Spaß an der Sache auch ein bisschen.
Ich weiß, ich würde mir die Mühe nicht machen, wenn nichts anderes
als Geld dabei rumkäme, wenn ich an nichts anderem interessiert
wäre. Wenn es nur darum ginge, hätte ich etwas anderes studiert.
Wenn
es sein müsste, könnte ich meistens vom Schreiben und dem ganzen
anderen Kram leben – ob ich gut davon leben kann, steht auf einem
anderen Blatt. Und darum geht es vielleicht auch: Gut zu leben. Ich
finde, jeder hat durchaus das Recht, das zu verlangen. Ich
weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich möchte gerne mal in den
Urlaub fahren. Ich möchte spontan in den Zug steigen und Freunde
besuchen. Ich möchte zu faul sein zu kochen und abends mal essen
gehen oder eine Pizza liefern lassen. Ich möchte mir eine komplette
DVD-Box irgendeiner Serie bestellen, ohne darüber nachdenken zu
müssen, ob das heißt, dass es am Ende des Monats wieder nur Nudeln
gibt. Gut leben: Solche einfachen Sachen sind das für mich. Alleine
mit Schreiben geht das vielleicht irgendwann mal, gerade geht es
nicht. Also bin ich jetzt nicht nur Multifunktionsschreiber,
Luftgitarrist und generell Rampensau, sondern auch Teilzeit-Barkeeper
in einem Vier-Sterne-Hotel. Ich bin nicht unzufrieden damit. Ich kann
vormittags schreiben und nachts Leute betrunken machen. In guten
Monaten kann ich ein bisschen was zurücklegen, es gibt Trinkgeld,
und der Koch macht jeden Abend etwas warmes zu essen.
“Alter,
du lebst echt den Traum”, sagte mir einmal eine Frau. Das war auf
dem Campus der Universität Frankfurt, ich hatte an diesem Tag schon
mehrere Ausgaben der Minima
Moralia
in den Händen unterschiedlicher Studenten gesichtet, und außerdem
eine andere Frau – nicht die mit dem Traum – die ein
Erich-Fried-Zitat auf ihren Unterarm tätowiert hatte. Es war Abend,
im Hintergrund roch man Bratwürste, und die
Theater/Medien-Fachschaft schickte sich gerade an, ihr Sommerfest zu
feiern, wir würden später an dem Abend noch viel zu lange
mitfeiern.
Wir hatten
kurz vorher im Campuscafé eine Lesung veranstaltet, und die Frau mit
dem Traum hatte irgendetwas mit der Organisation zu tun, ich habe
vergessen, was genau, aber jedenfalls war das der Grund, weshalb wir
überhaupt miteinander sprachen. Ich bin ansonsten nicht gut darin,
mit Frauen, oder überhaupt fremden Menschen zu sprechen. Wenn sie zu
Organisationsteams gehören, dann geht es. Sie erzählte, sie
studiere Geschichte. Ich erzählte, was ich so den ganzen Tag mache:
Schreiben, Barkeeping, manchmal Lesungen. Außerdem, sagte ich, bin
ich ein exzellenter Luftgitarrist. Mit jedem Punkt, den ich erwähnte wurden ihre Augen ein Stück größer.
Dann sagte
sie, ich wiederhole das nochmal: „Alter, du lebst echt den Traum.“
„So
habe ich das noch nie betrachtet“, sagte ich.
Seitdem
aber schon.
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