Sonntag, 3. März 2013

Schmerzen und Spaß (Teaser)


Das ist es, das Buch. Bild von mir.
Zugegeben: Ein bisschen ist das jetzt Werbung. Ein Teaser-Trailer. Aber ein bisschen auch nicht. Ein bisschen ist es auch Essay: Das hier ist ungefähr ein Drittel meines Essays für den Games-Studies-Sammelband "Build ’em Up — Shoot ’em Down. Körperlichkeit in digitalen Spielen", erschienen im Verlag Werner Hülsbüsch und dort auch zu kaufen. Mit Beiträgen nicht nur von mir, sondern auch von Christian Huberts, Rudolf Inderst und einem Vorwort von Frans Märyä.


Harry Potter und der Muskelkater
Ein Selbstversuch aus verschiedenen Richtungen über das Verhältnis zwischen Körper, Controller und Spielfigur


Eines Morgens – im Grunde eher mittags - wachte ich auf, und hatte Muskelkater im rechten Arm, der Arm, in dem ich in der Nacht zuvor die Wiimote gehalten hatte. Ich hatte den größten Teil der Nacht „Harry Potter und der Halbblutprinz“ gespielt, und die Wiimote war eigentlich gar keine Wiimote, es war mein Zauberstab. Wenigstens kam sie in diesem Spiel so dicht an einen Zauberstab heran, wie kaum etwas anderes, was ich jemals in der Hand gehalten habe. Am Ende muss man in dem Spiel gegen eine absurd große Menge Todesser antreten, und für den in dem Fall nützlichsten aller Zaubersprüche – Stupor – musste ich meinen Zauberstab, meine Wiimote, blitzartig Richtung Bildschirm stoßen: Für jeden Zauberspruch in dem Spiel muss man eine solche Bewegung machen: einen Kreis in die Luft zeichnen, ruckartige Stöße in verschiedenste Richtungen. Außerdem muss man an mehreren Punkten im Spiel Rührbewegungen mit der Wiimote machen, um Zaubertränke umzurühren. Daher der Muskelkater, hauptsächlich im Trizeps. Ich lag also da, in meinem Bett, mit schmerzendem Trizeps, und dachte: Das ist nicht mein Muskelkater, den ich da habe. Das ist der Muskelkater von Harry Potter. Ich glaube, dass in dieser Erkenntnis, diesem Gedanken, etwas Interessantes verborgen liegt, etwas, das einem viel über das Verhältnis zwischen Spieler und Spielfigur in digitalen Spielen erzählen kann. Etwas über das eigenartige Verhältnis der Körper, die da aufeinander treffen. Und der Erzählungen, die sich daraus ergeben.


Reden wir über Schmerz. Schmerz ist ein in diesem Fall interessantes Gefühl, weil es sehr handfest, sehr eindeutig ist, aber dann ja trotzdem ein Gefühl wie jedes andere auch: Man muss – erstmal - nicht mit schwammigen Begriffen wie Identifikation, Repräsentation oder Empathie hantieren, um etwas über das Verhältnis zwischen Spieler und Spielfigur zu sagen. Man kann sagen: Ich habe vom Spielen Schmerzen bekommen. Und sehen, wohin einen das führt. 


Mein Vater erzählte mir – das ist eine Geschichte aus den Anfangstagen des digitalen Spielens – dass er einmal derartig viel C64 gespielt hätte, dass er danach einen blauen Daumen hatte. Solche Verletzungen gibt es häufiger, so häufig, dass verschiedene Verletzungsarten eigene medizinische Begriffe haben: Der „Nintendo-Daumen“, beispielsweise, bezeichnet angeschwollene Daumengelenke und Sehnenscheideentzündung durch zu häufiges Knöpfedrücken. Auf den ersten Blick sind das und mein Harry-Potter-Muskelkater dieselben Schmerzen, die Schmerzen des Spielers, der es übertreibt, der seinen Controller über die Maßen beansprucht, und später eben die Rechnung dafür bekommt. Und das mag, oberflächlich, oder: Von der Ursache her betrachtet sogar so sein. Der große Unterschied liegt in den Controllern: Ich weiß nicht, welchen Joystick mein Vater damals benutzte, aber im Prinzip ist das auch nicht weiter wichtig: Ich gehe davon aus, dass er maximal zwei Knöpfe und einen Stick hatte. Ich stelle mir das klassische Modell Competition Pro vor.

Seit damals, seit früher sogar noch, bis 2006, zur Einführung der Nintendo Wii war die Kontrolle der Spielfigur, des Spielkörpers irrsinnig abstrakt: Wir waren es gewohnt, sind es noch, und bemerken es deshalb vielleicht nicht: Aber die Spielfigur erstmal dazu zu bekommen, irgendetwas zu tun erfordert eine Menge Übersetzungsarbeit. Um mit der Spielfigur zu kommunizieren, erfordert es eine ganz neue, knopfbasierte Sprache, die der Spieler erstmal lernen und meistern muss. Tastendruck gleich Schwertschwung: die Bewegung des Spielers hat nichts mit der Bewegung der Spielfigur zu tun.

Der Competition Pro hat zwei Knöpfe und einen Stick. Der N64-Controller hat ein Steuerkreuz, einen Stick und 10 Knöpfe: Bis zur Markteinführung der Wii hat die Controllerkomplexität immer nur zugenommen, weil das Bewegungsrepertoire der Spielfigur immer größer wurde, und damit der Grad an Abstraktion in ihrer Steuerung, was wiederum heißt: Die Übersetzungsleistung ist immer schwieriger geworden. Das Maß an Übung, dass es braucht, die Spielfigur dazu zu bekommen, das zu tun, was der Spieler möchte, ist immer nur gestiegen. Das ist ja auch mit der Witz der ganzen Sache: Immer besser zu werden, immer weiter zu kommen.

Der Nintendo-Daumen, der blaue Finger meines Vaters, andere dokumentierte Krankheitsbilder das Space-Invaders-Handgelenk: Das scheinen mir fast Symptome davon zu sein: Komplexe Steuerungen erfordern Expertentum, und Expertentum erfordert viel Übung: Nur die Finger von guten Gitarristen haben eine dicke Hornhaut. Mein Muskelkater, oder die Sehnenscheideentzündungen, die der Ärzte bei Patienten nach exzessivem Wii-Tennis-Spielen festellten: Das sind Schmerzen mit einem ganz anderen Geschmack, Schmerzen einer ganz anderen Art.

Die Nintendo Wii, Sony Move, Xbox360 Kinect: Das alles sind Konsolen, welche die Abstraktionsleistung, die fürs Steuern der Spielfigur notwendig, so weit wie möglich zurückfahren, die, so gut es geht, den Controller weglassen: Das Design der Wiimote lehnt sich an das Design des NES-Controllers an, also der vorvorvorlezten Konsolengeneration. Bei der Xbox gipfelt das ja sogar in dem Claim „Du bist der Controller“: Ich kann Tennis spielen, indem ich die Wiimote wie einen Tennisschläger benutze. Ich kann tanzen, indem ich tanze. Wenn ich vom Tennisspielen auf der Wii dieselbe Sehnenscheideentzündung bekommen kann wie vom Tennisspielen auf dem Tennisplatz, dann ist das was anderes als beispielsweise ein Space-Invaders-Handgelenk, das von den spezifischen Controllerbewegungen beim Space-Invaders-spielen herrührt: Das sind nicht mehr die Schmerzen des Expertentums. 

Man kann sich über den Verlust der Herausforderung, den Verfall des Controller-Expertums, über den Verlust des Profi-Spielers und den Aufstieg des Casual Gaming aufregen, man kann das Verschwinden des klassischen Gaming-Nerds entdecken, das Auftauchen und die massenhafte Verbreitung des Gelegenheitsspielers der sich - im apokalyptischen Endpunkt der Entwicklung - in großen Herden auf virtuellen Farmen einsperren lässt und es großartig findet, dort sinnlos vor sich hin zu klicken. Man kann eine Controller-Revolution entdecken, die sicherlich irgendetwas bedeutet und irgendetwas verändert, man kann, wenn man es an die ganz große Glocke hängen möchte, den physical turn im Gaming ausrufen. Das führt, glaube ich, aber nicht ganz zum Kern der Sache, nicht ganz zu Antwort auf die Frage, warum diese Harry-Potter-Schmerzen jetzt so besonders sind, und was für ein Verhältnis ist, dass der Spielerkörper und der gespielte Körper zueinander haben, wenn sie ihre Schmerzen tauschen, oder: verdoppeln. Letztendlich ist es gar nicht so interessant, dass es die Möglichkeit dazu gibt, oder dass die Controller soweit entwickelt sind, dass sie sich selbst abschaffen – das ist nur ein logischer Punkt in der Entwicklung von Spielen, die den Spieler immer schon, auf jede mögliche Art, in das Spiel hineinziehen wollten wie ein unschuldiges Kind in einer schlechten Zeichentrickserie in den Fernseher gesogen wird.

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