Das ist es, das Buch. Bild von mir. |
Zugegeben: Ein bisschen ist das jetzt Werbung. Ein Teaser-Trailer. Aber ein bisschen auch nicht. Ein bisschen ist es auch Essay: Das hier ist ungefähr ein Drittel meines Essays für den Games-Studies-Sammelband "Build ’em Up — Shoot ’em Down. Körperlichkeit in digitalen Spielen", erschienen im Verlag Werner Hülsbüsch und dort auch zu kaufen. Mit Beiträgen nicht nur von mir, sondern auch von Christian Huberts, Rudolf Inderst und einem Vorwort von Frans Märyä.
Harry
Potter und der Muskelkater
Ein
Selbstversuch aus verschiedenen Richtungen über das Verhältnis
zwischen Körper, Controller und Spielfigur
Eines
Morgens – im Grunde eher mittags - wachte ich auf, und hatte
Muskelkater im rechten Arm, der Arm, in dem ich in der Nacht zuvor
die Wiimote gehalten hatte. Ich hatte den größten Teil der Nacht
„Harry Potter und der Halbblutprinz“ gespielt, und die Wiimote
war eigentlich gar keine Wiimote, es war mein Zauberstab. Wenigstens
kam sie in diesem Spiel so dicht an einen Zauberstab heran, wie kaum
etwas anderes, was ich jemals in der Hand gehalten habe. Am Ende muss
man in dem Spiel gegen eine absurd große Menge Todesser antreten,
und für den in dem Fall nützlichsten aller Zaubersprüche –
Stupor – musste ich meinen Zauberstab, meine Wiimote, blitzartig
Richtung Bildschirm stoßen: Für jeden Zauberspruch in dem Spiel
muss man eine solche Bewegung machen: einen Kreis in die Luft
zeichnen, ruckartige Stöße in verschiedenste Richtungen. Außerdem
muss man an mehreren Punkten im Spiel Rührbewegungen mit der Wiimote
machen, um Zaubertränke umzurühren. Daher der Muskelkater,
hauptsächlich im Trizeps. Ich lag also da, in meinem Bett, mit
schmerzendem Trizeps, und dachte: Das ist nicht mein Muskelkater, den
ich da habe. Das ist der Muskelkater von Harry Potter. Ich glaube,
dass in dieser Erkenntnis, diesem Gedanken, etwas Interessantes
verborgen liegt, etwas, das einem viel über das Verhältnis zwischen
Spieler und Spielfigur in digitalen Spielen erzählen kann. Etwas
über das eigenartige Verhältnis der Körper, die da aufeinander
treffen. Und der Erzählungen, die sich daraus ergeben.
Reden
wir über Schmerz. Schmerz ist ein in diesem Fall interessantes
Gefühl, weil es sehr handfest, sehr eindeutig ist, aber dann ja
trotzdem ein Gefühl wie jedes andere auch: Man muss – erstmal -
nicht mit schwammigen Begriffen wie Identifikation, Repräsentation
oder Empathie hantieren, um etwas über das Verhältnis zwischen
Spieler und Spielfigur zu sagen. Man kann sagen: Ich habe vom Spielen
Schmerzen bekommen. Und sehen, wohin einen das führt.
Mein
Vater erzählte mir – das ist eine Geschichte aus den Anfangstagen
des digitalen Spielens – dass er einmal derartig viel C64 gespielt
hätte, dass er danach einen blauen Daumen hatte. Solche Verletzungen
gibt es häufiger, so häufig, dass verschiedene Verletzungsarten
eigene medizinische Begriffe haben: Der „Nintendo-Daumen“,
beispielsweise, bezeichnet angeschwollene Daumengelenke und
Sehnenscheideentzündung durch zu häufiges Knöpfedrücken. Auf den
ersten Blick sind das und mein Harry-Potter-Muskelkater dieselben
Schmerzen, die Schmerzen des Spielers, der es übertreibt, der seinen
Controller über die Maßen beansprucht, und später eben die
Rechnung dafür bekommt. Und das mag, oberflächlich, oder: Von der
Ursache her betrachtet sogar so sein. Der große Unterschied liegt
in den Controllern: Ich weiß nicht, welchen Joystick mein Vater
damals benutzte, aber im Prinzip ist das auch nicht weiter wichtig:
Ich gehe davon aus, dass er maximal zwei Knöpfe und einen Stick
hatte. Ich stelle mir das klassische Modell Competition Pro vor.
Seit
damals, seit früher sogar noch, bis 2006, zur Einführung der
Nintendo Wii war die Kontrolle der Spielfigur, des Spielkörpers
irrsinnig abstrakt: Wir waren es gewohnt, sind es noch, und bemerken
es deshalb vielleicht nicht: Aber die Spielfigur erstmal dazu zu
bekommen, irgendetwas zu tun erfordert eine Menge Übersetzungsarbeit.
Um mit der Spielfigur zu kommunizieren, erfordert es eine ganz neue,
knopfbasierte Sprache, die der Spieler erstmal lernen und meistern
muss. Tastendruck gleich Schwertschwung: die Bewegung des Spielers
hat nichts mit der Bewegung der Spielfigur zu tun.
Der
Competition Pro hat zwei Knöpfe und einen Stick. Der N64-Controller
hat ein Steuerkreuz, einen Stick und 10 Knöpfe: Bis zur
Markteinführung der Wii hat die Controllerkomplexität immer nur
zugenommen, weil das Bewegungsrepertoire der Spielfigur immer größer
wurde, und damit der Grad an Abstraktion in ihrer Steuerung, was
wiederum heißt: Die Übersetzungsleistung ist immer schwieriger
geworden. Das Maß an Übung, dass es braucht, die Spielfigur dazu zu
bekommen, das zu tun, was der Spieler möchte, ist immer nur
gestiegen. Das ist ja auch mit der Witz der ganzen Sache: Immer
besser zu werden, immer weiter zu kommen.
Der
Nintendo-Daumen, der blaue Finger meines Vaters, andere dokumentierte
Krankheitsbilder das Space-Invaders-Handgelenk: Das scheinen mir fast
Symptome davon zu sein: Komplexe Steuerungen erfordern Expertentum,
und Expertentum erfordert viel Übung: Nur die Finger von guten
Gitarristen haben eine dicke Hornhaut. Mein Muskelkater, oder die
Sehnenscheideentzündungen, die der Ärzte bei Patienten nach
exzessivem Wii-Tennis-Spielen festellten: Das sind Schmerzen mit
einem ganz anderen Geschmack, Schmerzen einer ganz anderen Art.
Die
Nintendo Wii, Sony Move, Xbox360 Kinect: Das alles sind Konsolen,
welche die Abstraktionsleistung, die fürs Steuern der Spielfigur
notwendig, so weit wie möglich zurückfahren, die, so gut es geht,
den Controller weglassen: Das Design der Wiimote lehnt sich an das
Design des NES-Controllers an, also der vorvorvorlezten
Konsolengeneration. Bei der Xbox gipfelt das ja sogar in dem Claim
„Du bist der Controller“: Ich kann Tennis spielen, indem ich die
Wiimote wie einen Tennisschläger benutze. Ich kann tanzen, indem ich
tanze. Wenn ich vom Tennisspielen auf der Wii dieselbe
Sehnenscheideentzündung bekommen kann wie vom Tennisspielen auf dem
Tennisplatz, dann ist das was anderes als beispielsweise ein
Space-Invaders-Handgelenk, das von den spezifischen
Controllerbewegungen beim Space-Invaders-spielen herrührt: Das sind
nicht mehr die Schmerzen des Expertentums.
Man
kann sich über den Verlust der Herausforderung, den Verfall des
Controller-Expertums, über den Verlust des Profi-Spielers und den
Aufstieg des Casual Gaming aufregen, man kann das Verschwinden des
klassischen Gaming-Nerds entdecken, das Auftauchen und die
massenhafte Verbreitung des Gelegenheitsspielers der sich - im
apokalyptischen Endpunkt der Entwicklung - in großen Herden auf
virtuellen Farmen einsperren lässt und es großartig findet, dort
sinnlos vor sich hin zu klicken. Man kann eine Controller-Revolution
entdecken, die sicherlich irgendetwas bedeutet und irgendetwas
verändert, man kann, wenn man es an die ganz große Glocke hängen
möchte, den physical turn im Gaming ausrufen. Das führt, glaube
ich, aber nicht ganz zum Kern der Sache, nicht ganz zu Antwort auf
die Frage, warum diese Harry-Potter-Schmerzen jetzt so besonders
sind, und was für ein Verhältnis ist, dass der Spielerkörper und
der gespielte Körper zueinander haben, wenn sie ihre Schmerzen
tauschen, oder: verdoppeln. Letztendlich ist es gar nicht so
interessant, dass es die Möglichkeit dazu gibt, oder dass die
Controller soweit entwickelt sind, dass sie sich selbst abschaffen –
das ist nur ein logischer Punkt in der Entwicklung von Spielen, die
den Spieler immer schon, auf jede mögliche Art, in das Spiel
hineinziehen wollten wie ein unschuldiges Kind in einer schlechten
Zeichentrickserie in den Fernseher gesogen wird.
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