Donnerstag, 23. Mai 2013

Ich habe Lesungen immer sehr geliebt, aber meistens gehe ich nicht mehr hin

Ein Jahr lang leitete ich eine kleine Veranstaltungsreihe im Theater für Niedersachsen, nichts
Immerhin ein Bier, und kein Wasserglas. Bild: Privat
großes, ein Late-Night-Format, das hauptsächlich dazu gedacht war, auch mal jüngeres Publikum ins Theater zu holen. Dafür, das ganze technisch zu betreuen, war mir ein grummeliger, oft bärtiger Theatertechniker zugeteilt, der alles konnte und jeden kannte, aber den Aufwand gerne gering hielt. Dieser Techniker liebte Lesungen. Er musste einfach nur einen Tisch und einen Stuhl hinstellen, zwei Lichter -eins weiß, eins farbig - darauf richten, ein Mikro hinstellen, und den Rest des Tages wurden wir beide dafür bezahlt, auf dem Balkon zu stehen und zu rauchen, so lange, bis kurz vor Veranstaltungsbeginn der Autor auftauchte, seinen Stuhl ausprobierte, zwei Worte ins Mikro sagte, und dann rauchten wir alle drei gemeinsam, bis es los ging. Es gibt kaum unaufwändigere Veranstaltungen. 
Tatsächlich gibt es aber auch kaum langweiligere Veranstaltungen als so eine Lesung auf Default-Setting. 
Es gibt Autoren, die versuchen, es anders zu machen - es gibt Poetry Slams, es gibt Leute, die ihre eigenen DJs mit zur Lesetour schleppen, es gibt allen möglichen multimedialen Krempel - aber ein großer Teil der Lesungen, auf denen ich war, ein großer Teil der Lesungen, die einem so angeboten werden - als Lesender und als Zuhörer - sehen genau so aus: Ein Tisch, ein Stuhl, ein Wasserglas. 

Anfang Mai las ich auf dem MDR-Literaturwettbewerb in Leipzig  (ohne etwas zu gewinnen), und eigentlich möchte ich nichts gegen die Veranstaltung sagen. Ich habe mich wohl gefühlt, ich habe nette Leute kennengelernt, ich habe gute Gespräche geführt, ich habe mich gefreut, da mal mitmachen zu dürfen, all das. Das Bild, das mir im Gedächtnis geblieben ist, ist aber, dass irgendwann die halbe Autorenbank da saß, und währenddessen auf ihren Handys rumtippte. Das waren die Autoren, um die es ging. Diejenigen, die an diesem Abend, in dieser Sekunde in einem eigentlich spannenden Wettbewerb steckten. In dem es um insgesamt 10.000 Euro ging. Und ihnen war langweilig. Ich möchte nicht wissen, wie es dem Publikum ging. Nicht, dass das der Fehler des Wettbewerbs gewesen wäre - mir persönlich geht es auf fast jeder dieser Default-Lesungen irgendwann so, dass ich mir wünsche, auf meinem Telefon rumtippen zu können, ohne dass meine Sitznachbarn mir hasserfüllte Blicke zu werfen, weil ich nicht in der Lage bin, die "Literatur schwingen zu lassen" - das sagt man dann ja gerne immer. Bei mir schwingt da immer nichts - eher im Gegenteil. Im schlimmsten Fall sitzt da ein Autor, der seinen eigenen Text noch nicht einmal gut vorlesen kann, ihn mir aber in einem viel zu langsamen Lesetempo aufzwingt, und mir womöglich noch ein Buch, das ich sehr geliebt habe, komplett kaputt macht. Im besten Fall hat er eine gute Vorlesestimme, und macht noch ein, zwei Witzchen zwischendrin, damit die Leute nicht einschlafen - Feridun Zaimoglu, beispielsweise, kann das ganz gut. Aber das gibt ja auch nicht jeder Text her. 

Was ist das Problem? Einmal, für mich, dieser Lesungsduktus, vor allem und gerne bei jungen Autorinnen, aber nicht nur, in dem jedes Wort dramatisch mit Ernsthaftigkeit aufgeladen werden soll, sich dann aber eher wie Kaugummi zieht. 
Dann, und das ist vielleicht wichtiger, dass diese Default-Lesungen so unerträglich langsam geschnittene Veranstaltungen sind - nichts passiert da, aber mindestens zweimal. Vielleicht liegt das aber auch an mir: Als ich Cloud Atlas im Kino gesehen habe, freute ich mich, endlich einmal einen Film zu haben, der mir seine Geschichte genauso zeigt, wie ich Medien konsumiere: Immer mindestens drei offene Tabs mit völlig unterschiedlichen Dingen, die sich, vielleicht, vielleicht auch nicht, irgendwann zu etwas größerem zusammendröseln. Tatsächlich war es bei dem Film auch so, dass vor allem die älteren Kritiker  sich beschwerten, sie kämen nicht mehr mit, und kritisierten, dass keine der Geschichten und keiner der Protagonisten richtig auserzählt sei, und man sich vielleicht auf weniger hätte konzentrieren sollen. Ich freute mich, dass da endlich mal ein Film ist, der durch Genres und Geschichten springt, wie ich jeden Tag, immer, wenn ich mich an den Rechner setze, durch Genres und Geschichten springe.  Die typische Lesung ist genau das Gegenteil davon. Nicht, dass ich mich nicht gerne auf einen Text einlassen würde, das ich stecke eine Menge Zeit und Energie da rein, genau das zu tun - aber wenn, dann möchte ich das gerne zu meinen Bedingungen tun.

Bei Lesungen ist es so, dass, selbst wenn die Texte gut sind - und das sind sie ja meistens - das einzige, was da passiert ist, dass sie mir noch einmal langsam vorgelesen werden, von Leuten, die meistens dafür nicht ausgebildet sind (es mag ja sein, dass Autoren ihre Texte von allen Leuten am besten kennen, und ich lerne auch gerne Autoren kennen, die meisten sind nette Menschen - zum Lesen qualifiziert sie das noch nicht). Ein Hörbuch ist besser. Selber lesen ist besser. 
Man muss - als Lesender - gar nicht so sehr an der Schraube drehen, um da wieder rauszukommen. Joseph von Westphalen spielt bei seinen Lesungen gerne die Platten vor, die sein Protagonist hört und mag, oder die Platten, die er beim Schreiben gehört hat, und erzählt ein bisschen was dazu.
Eoin Colfer ist in Deutschland immer mit dem Schauspieler Peter Lohmeyer unterwegs. Colfer erzählt Geschichten, Lohmeyer liest vor, die beiden spielen sich gegenseitig an, und gehen, das sieht man, wenn man sie sieht, hinterher bestimmt noch ein Bier trinken. 
So etwas ist jetzt zwar nicht die große Revolution des Formats Lesung, ist aber unaufwändig - man braucht nur ein Mikro mehr, oder man muss nur einen Plattenspieler anschließen - und bringt unheimlich viel, allein schon, weil ein Dialog auf der Bühne möglich ist, weil man sieht, dass der ein oder andere Witz der beiden auch geprobt ist, weil zwischendrin auch mal dem Text etwas hinzugefügt wird, und sich nicht nur auf die hohe Ernsthaftigkeit der Literatur verlassen wird. 

Was ich immer nicht verstehe ist, warum diese Default-Lesungen so sind, wie sie sind. Als Publikum macht mir das keinen Spaß - und als Lesender ist es noch schlimmer. Man sitzt da oben auf der Bühne, und liest seinen Text ins Mikro, während das Publikum in diese Lesungsstarre verfällt, und bekommt nichts zurück, außer verhaltenen Applaus am Ende, und, wenn man Glück hat, einem Lacher zwischendrin. Warum werden gute Sätze, gute Absätze nicht beklatscht wie ein gutes Solo bei einem Konzert? Warum wird ein guter Text nicht gefeiert wie ein guter Song (von mir aus aus ein Jazzsolo, ein Jazzsong, es muss ja nicht gleich Rock'n'Roll sein)? Ich persönlich hätte Lust dazu, so etwas zu sehen, so etwas zu machen. 

Warum werden Lesungen nicht inszenatorisch gedacht? Es muss ja nicht gleich unglaublich viel multimedialer Quatsch sein, aber warum setzt sich nicht jemand hin und: So, wir haben jetzt hier einen Text, den unsere Besucher mögen, und wir haben hier den Autor, der das geschrieben hat, wie bekommen wir einen Mehrwert für alle Beteiligten aus der Sache raus, irgendetwas, was darüber hinaus geht, dass da einer vorliest, und hin und wieder einen Schluck Wasser trinkt? 

Warum setzt sich nicht einer hin und sagt: Alles ist möglich, außer Langeweile?

[Dieser Post gehört zu dieser Veranstaltung namens Litfutur  und dieses Video gehört auch dazu]



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