Montag, 5. Januar 2015

Gehypt wie geschnitten Brot

Das Magazin. Toll.
Für die letzte Ausgabe des sehr feinen, sehr liebevollen Game-Bookazines WASD (Thema: Retro) hing ich ein paar Wochen lang in Second Life rum - nicht nur gibt es das noch, es gibt dort sogar noch Menschen, bzw. ihre Avatare, und sie tun etwas. Was tatsächlich mehr ist, als ich erwartet hatte. Der Teasertext, den ich mir ausdachte war so: 
Einst war Second Life das gehypteste Ding seit geschnitten Brot. Es brachte Liebe hervor, Millionäre und Zukunftspropheten sahen gar das Web.3D heraufziehen. Jan Fischer macht sich auf die Suche nach dem, was davon übrig blieb. Ein Streifzug durch die Ruinen des Enthusiasmus.

Ich wollte wissen, was ingame in den letzten Jahren, den Jahren seit dem Hype passiert ist - nicht nur reproduzieren, sondern die Ruinen mit eigenen Augen sehen. Ich sah wenig Ruinen. 


Folgendes schrieb ich:  



Das unerträgliche Laggen des Seins


“He turns off the techno-shit in his goggles. All it does is confuse him; he stands there reading statistics about his own death even as it's happening to him




Ich stehe auf einem Hügel und unter mit laggt die Welt. Zarte, blaue und grüne Formen, leicht kantig, die sich nur pixelweise entscheiden, was sie für mich sein wollen. Vielleicht Wasser, vielleicht Pflanzen. Vielleicht  sexy Frauenponies. Die hätte es hier geben sollen, halbnackt, nackt, sie sollten Kutschen ziehen und in Pferdeställen wohnen. 
Die Insel ist leer. Ich fühle mich verloren, verloren wie einer, der zu spät zur Party kommt.  Einer der auftaucht, wenn alle, die sich küssen wollten sich schon geküsst haben, wenn alle, die was trinken wollten schon alles getrunken haben, wenn alle, die geschrieen haben schon längst bis morgen nachmittag in einer Ecke liegen.
Ich bin verloren wie einer, der zwischen den Resten steht und nicht weiß, welche Geschichte sie erzählen. 
Das da eine Geschichte ist, davon habe ich gehört. Davon, dass hier einmal Menschen träumten, dass sie sich etwas aufgebaut haben.  Dass sie sich etwas wünschten. Ich war nicht dabei, aber wenn es eine Party war, dann war ich ein Stockwerk tiefer, ich hörte die Bässe und konnte nicht schlafen. 


Hübsch, da.
Man kann den Träumen, den Utopien hinterhergooglen, Suchparameter: „Second Life“, 2003-2008, da findet man die verwirrten Schlagzeilen, die versuchten, etwas neues zu umranken, das niemand verstand. „Die nächste Kolonie des Kapitalismus“, steht da, „Neue Welten, neue Rechtsfragen“, erörtert jemand anders, oder auch: „Die besten Geschäftsmodelle der Zukunft“, „Second Life und Selbstständigkeit“. „Web.3D“ nannte es mal einer, in voller Überzeugung, dass sei es jetzt. Dass Rainer Calmund da war, war ein großes Ding, es gab ein Berlin, ein Köln, ein Adidas, eine Volkshochschule, die MET, Gratissex und solchen, der was kostete. 
Solange, bis alles in sich zusammenfiel: „Millionengrab Second Life“, das ist von Ende 2008, Anfang 2009.

Als ich im Millionengrab ankomme, ist Betrieb, mehr als ich es mir von einem Millionengrab vorgestellt hätte. 10, 20 Leute vielleicht in der Reichweite meiner Chatbox. Meine erste Insel ist eine, die für Anfänger geeignet sein soll. Ich weiß nicht, was das heißt, für Anfänger geeignet, überall liegt Kram rum, Bälle, Stühle, Kuben. Ich kann mir neue Kleidung besorgen, kostenlos, versehentlich ziehe ich zuerst die Kiste an, in der die Kleidung ist. Ich stolpere ungeschickt herum. 
Ich weiß nicht, was ich tun soll, nachdem ich herausgefunden habe, wie ich mir was anderes anziehe. Da ist ein Baum, ich laufe hin, ich laufe wieder zurück. 
Es ist abends, irgendwo sicherlich, auf dem Startbildschirm wurde mir eine Party empfohlen, Blues irgendwas, mit DJ irgendwem, möglich, dass alle den DJ kennen, dass alle da sind und tanzen und sich amüsieren, wie auch immer das in dieser Welt funktioniert.
Ich gehe hin, am Eingang steht eine Spendenbox.  Jemand hat das hier gebaut, jemand bezahlt dafür. Vielleicht fünf Leute sind da, mein Chatfenster dengelt vor sich hin, der DJ schickt mir eine automatische Willkommensnachricht, die Musik ist gut, ich stelle mich an die Bar, und weiß nicht ganz genau, wie ich jetzt ein Getränk bekomme, ob das überhaupt Sinn macht. Ich drehe die Lautsprecher auf, und tippe übermütig in die Chatbox: „Hey all!“, keine Antwort. Der DJ meint automatisch, man könne sich Musik wünschen, ich möchte Albert King, das käme jetzt gut, während ich versuche, dieses Getränkeproblem zu lösen, vom DJ keine Reaktion. 

Selfie am Strand.
Ich frage mich, wo es Antworten gibt. Nicht Antworten darauf, was das hier jetzt ist, sondern was daran mal faszinierend war.: „Hey Crowd!“, frage ich Facebook und Twitter, „Gibt es hier jemanden, der vor so ca. 2008 bei Second Life aktiv war und mir davon erzählen möchte?“ Facebook: 1 Like, 22 Kommentare. Twitter: 3 Retweets. Auf Facebook schreibt einer: „Ich habe mal einen Stuhl gebaut. Das war scheiße.“, ein anderer: „Alles, was SL noch versprach, hat Minecraft aufgesaugt“, „Ich hatte einen Penis“, schreibt ein dritter. Eine Freundin schreibt mir: „Über einen Bekannten gelang ich an einen Makler-Job und fing an, Appartements zu verticken, mit erstaunlich gutem Erfolg. Auf die Art und Weise konnte ich mein eigenes Appartement finanzieren. [...] Mein Freundeskreis wuchs stätig, ich fing an Partys zu organisieren und beruflich wurde es nicht weniger. Dafür, dass ich nicht mal einen Euro in Second Life investiert habe, ging es mir online gar nicht schlecht.“

„Metaversum“ ist auch so ein Wort, das einem immer wieder entgegenfliegt, wenn man anfängt, Second Life hinterherzugoogeln: „Das erklärte Ziel von Second Life® ist die Schaffung eines solchen Metaversums, das in dem Roman Snow Crash von Neal Stephenson (1992) beschrieben wurde“, zum Beispiel, oder vom Kulturwissenschaftler Christian Huberts: „Doch es wird schnell klar, dass die digitale der literarischen Welt nicht gerecht werden kann. Während sich das Metaversum hartnäckig einer Realität widersetzt, die fast ausschließlich von Franchises dominiert wird, gibt sich das Second Life lieber dem Kapitalismus und einer bürgerlichen Spießer-Moral hin. Wo bei Stephenson neurolinguistische Drogen eingeworfen werden und die Avatare rasch zum Schwert greifen, streitet man sich im Second Life lieber sachlich und nüchtern über die Urheberrechte von Geschlechtsteilen.“

Durch die Kunst spazieren.
Ingame teleportiere ich mich von von Insel zu Insel. Jemand empfiehlt mir den SL-Künstler AM Radio, ich mache mich auf und finde ein paar Reste seiner Kunst – ein begehbares Gemälde namens „The Far Away“ - auf einer Insel, die ein Kunstsammler betreibt, zu Archivierungszwecken. Ich finde eine  radikal feministische Insel voller runder Formen, deren Regeln Männern verbieten, mit Frauen zu sprechen. Ich laufe durch ein virtuelles Dublin voller Geschäfte, in denen es Dinge gibt, die ich nicht will. Ich wandere durch eine völlig verbuggte Version von „Macbeth“, in der ich ständig gegen unsichtbare Hindernisse stoße, während von irgendwoher ein Zitat aus dem Stück in Schleife läuft. Ich treffe niemanden, auf keiner dieser Touren. 

Rundflug über Dublin.
Die Filmemacherin Susanne Jäger hat 2007 einen Film gemacht, „Mein wunderbares Ich“, der gleichzeitig in SL und im WDR Premiere feierte. „Über 40 Avatare sehen gemeinsam die Premiere in newBERLIN“, schrieb irgendeine längst vergessene Website dazu. Susanne Jäger begleitet in dem Film Menschen, in Second Life, im Real Life, sie hat die Avatare interviewt und die Menschen. Leute, die sich irgendwie ein Lebensmodell aus dieser laggenden Welt gezimmert haben, Grundstücke verkauften, Objekte, heirateten. Es ist ein toller Film, der unkommentiert, manchmal ein bisschen ratlos, Second Life und Real Life gegeneinandersetzt. Aber eben immer: Gegeneinander. Es geht bei Second Life – in dem Film, überhaupt – immer um diese Differenz: Erstes Leben, zweites Leben. Je nachdem, wen man fragt, ist das zweite besser oder bekloppt. Es ist aber immer jemand anders, der da über die Inseln wandert – Second Life ist nie Selbsterweiterung ins Netz gewesen, wie es die sozialen Netzwerke mit ihrem Klarnamenzwang sind,  es ist eine Neuerfindung des Selbst gewesen. Etwas, das getrennt vom First Life war. Anders gesagt: In Facebook baue ich mein Wohnzimmer weiter. In Second Life baute ich mir Urlaub.

Ich bleibe mitten im entvölkerten Dublin stehen, gönne der laggenden Welt eine Pause und suche nach Zahlen. Nicht Zahlen, ich suche Leute. 30.000 bis 65.000 Menschen sollen rund um die Uhr gleichzeitig in das System eingeloggt sein, sagen die Statistiken des Unternehmens. Selbst, wenn man ein paar tausend Bots abzieht ist das noch eine Menge. 1 Million aktive Nutzerkonten, lese ich auch. Das sind so viele wie zu Zeiten des Hypes. Es werden nur nicht mehr, seit Jahren nicht, Second Life verfällt nicht, es wächst nur nicht. Und in Silicon-Valley-Kategorien heißt das: Es versagt, schreibt die US-amerikanische Journalistin Sarah Lacy. Auch wenn eine dreiviertel Milliarde Dollar – von der Lacy auch spricht -  pro Jahr durch die Wirtschaft von Second Life gepumpt werden. 
Im Stripclub.
Es wäre unfair, bei solchen Zahlen von einem Misserfolg zu sprechen, tatsächlich und ganz ernsthaft von Ruinen zu sprechen, von toten Landstrichen, allen diesen Dingen, die man immer hört, es wäre unfair, Second Life auf seine Inkarnation während des Hypes so um 2005, 2006 herum zu reduzieren. Der Hype ist tot, es lebe die Nische. Denn die Welt hat sich weitergedreht, unsere, mit der Hardware, die andere: Es gibt Weiterentwicklungen, vor allem grafische, kleine, feine Inseln, kleine, feine Events: Ich lasse mich auf eine Rundreise ein, eine Jahrmarktsattraktion, mit der ich über das Meer fliegen kann, mit Fischen unter Wasser dahingleite, während die Sonne untergeht und alles in tolles, genau berechnetes Licht taucht: Man kann, wenn man das möchte, wenn es das ist, worum es einem geht, durch wunderbar designte Landschaften stromern, sich darin verlieren, endlos wandern und nie einen Menschen treffen.
Die Frage ist nicht: Warum ist das alles hier so kaputt?, denn das ist es nicht. Die Frage ist wo sind die ganzen Leute? Diejenigen, die das bauen, diejenigen, die hier leben, arbeiten, Geld ausgeben? Also, mehr, als die zwei bis fünf, die ich bis jetzt außerhalb der Anfängerinsel getroffen habe. Darum geht es, oder? Um die Leute? Selbst bei den Empfehlungen des Tages hängen vielleicht höchstens fünf bis 10 Leute rum, wenns hochkommt.  Wo sind alle? Und vor allem: wo geben sie das ganze Geld aus? Versage ich, weil ich niemanden finde, niemand mit mir spricht? Bin ich in vollkommen falschen Ecken unterwegs? Sehen alle, dass ich ein Anfänger bin?  

Selfie mit Sextoy.
Ich mache einen letzten Versuch:: Wenn hier was läuft, denke ich, dann Pornographie. Ich google nach großen Rotlichtzonen, klar, es gibt alles: Viel Furry, viel S/M, eine Menge FKK-Sachen mit dem Wort „Eros“ im Namen. Ich besuche sie alle hintereinander. Ich finde einen Furry-Club, der von vielleicht 20 Leuten bevölkert ist, riesige Viecher mit noch viel größeren Geschlechtsteilen die mich misstrauisch beäugen, jedenfalls bilde ich mir das ein, überall Neon, ballernder Elektro im Hintergrund. Ich finde einen S/M-Stripclub auch wieder 20 Leute, vielleicht, die alle in Sesseln sitzen und einer Stripperin zuschauen, die die ganze Zeit in kantigen Animationen um ihre  Stange tanzt. Ich schaue mir das ein paar Minuten an,  aber tatsächlich ist das, wie alles, was mir in Second Life begegnet ist, schlicht und einfach langweilig, nach einer Zeit, das ganze Ding ist, denke ich, während die Stripperin wegen irgendeines Glitches halb in ihrer Stange versinkt, halb daran heruntergleitet, eine gigantische Antiklimax. Ich tippe noch, nur um zu sehen, wo ich lande, „weird“ in die Suchbox. 
Kutsche, keine Ponies.
Und das ist es dann: Nicht, was ich gesucht habe. Aber ein Feld, ein gebautes Märchen, in dem ich mich durchs Dickicht kämpfe, so lange, bis ich die Kutschen finde, vor die diese Frauenponies gespannt sein sollen, die aber nicht da sind, vielleicht gerade nicht, vielleicht nie wieder, und ich kämpfe mich, enttäuscht, weiter durchs Dickicht, bis nach oben, auf den höchsten Hügel der Insel. Und da stehe ich, denke an die Ponies und vermute plötzlich, was fehlt: Man müsste den Wind spüren. Vielleicht sage ich das, vielleicht flüstere ich es, einfach nur irgendwo in Richtung Bildschirm,  vielleicht denke ich es, irgendwo ins Leere, vielleicht tippe ich den Satz auch nur in das Chatfenster, in dem mir niemand angezeigt wird, der ihn lesen könnte. Ich möchte fliegen, so richtig, mit Flügeln. Kann man bestimmt kaufen: Ich wünschte, ich könnte ich mir Flügel leisten, dann könnte ich schöner fliegen, ich könnte sie aufspannen, herunterstürzen Richtung Meer, ich könnte mit ausgestreckten Flügeln über die verlassene Insel der sexy Frauenponies gleiten. Ich kann mir keine Flügel leisten, in die Luft steige ich einfach so. Drifte nach rechts. Nach links. Und unter mit laggt die Welt.


4 Kommentare:

  1. Jan

    ich zeig dir gerne mal ein bisschen. Du machst einiges falsch!
    Kontaktiere mich In-World , User Name: carolinestravels

    Carol
    (Second Life Resident)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, dachte ich mir, dass ich einiges falsch mache. Ich melde mich gerne demnächst bei dir.

      Löschen
  2. Hallo Jan,

    noch interesse? Hast ja nichts von dir hören lassen. Wie heißt du denn Inworld? Gerne auch per E-mail: caroline@siemensnews.com

    AntwortenLöschen