Das Buchcover. |
Das schönste Buchprojekt, an dem ich im letzten Jahr mitgearbeitet habe ist "1000 Tode schreiben" aus dem Frohmann Verlag. Das Buch erschien im Dezember in der Version 1/4 mit 135 Texten. Es soll in diesem Jahr sporadisch upgedatet werden, und enthält dann, in Version 4/4 am Ende 1000 Texte von 1000 Autoren über den Tod - "Was für ein Projekt! Was für ein Irrsinn!" schreibt Mitautor Stefan Mesch darüber, und dem kann ich mich nur anschließen.
Wer das Buch jetzt kauft, übrigens, bekommt jeweils ein kostenloses Update, wenn die nächste Version erscheint.
Wer in den nächsten Versionen noch mitmachen möchte: hier klicken.
Und meinen Text stelle ich einfach mal online.
(Die Idee kam mir übrigens auf unserem Balkon. Ideen für Christiane Frohmann und unser Balkon passen offenbar ganz gut zusammen.)
Was,
wenn sie nicht wiederkommt?
Die
Sache ist: Das passiert wirklich. An den öffentlichen Orten, an
denen ich mich nie mit dem Rücken zu Tür setzen will, in den
Flugzeugen, in denen mein Herz bis zur Landung viel zu schnell
schlägt, und in denen ich die Nieten an den Flügeln niemals aus
den Augen lasse. Sie passieren wirklich, diese Katastrophen, die ich
sehe, bevor sie niemals statt finden.
Ich
erinnere mich: Ich sitze auf dem Balkon und spüre den Sommer nicht,
nicht so wie sonst. Es ist ein Sommertag, Hochsommer, zwar, aber
einer von den Tagen, die kühler sind, als sie sein sollten. Trotzdem
sollte da Sonne auf meiner Haut zu spüren sein, gerade zu der Zeit,
abends, da fällt das Licht immer in den Hinterhof, direkt auf
unseren Balkon, auf die Sonnenblumen, die Tomaten, da spiegelt es
sich in den hundert Fenstern und malt Lichtmuster überall hin.
Ich
sehe dieses falsche Bremsmanöver, das das Auto in die Leitplanke
schleudert, ich sehe jene Flugzeugklimaanlage, die in der Nähe des
Kerosintanks heiß läuft, so dass ich kurz vor der Landung doch noch
als Feuerball in einer dieser Flughafenvorstädte ende. Das fühlt
sich an, wie diese Sätze, die ich manchmal träume, die es sich
nachts mit Widerhaken dort bequem machen, wo auch die Ohrwürmer
leben, und den ganzen Tag bleiben.
Ich
betrachte die Tomaten, die in diesem Jahr nicht rot werden wollen,
harte, grüne Dinger, die anders gedacht waren.
Der
Satz, der kommt, plötzlich, dann feststeckt: Was, wenn sie nicht
wiederkommt?
Eigentlich
müsste Sommer sein, ist es aber irgendwie nicht, eigentlich müssten
die Tomaten schon längst rot sein, sind sie aber nicht.
Sie
müsste schon längst zu Hause sein, vor einer Stunde schon, vor
zwei, vielleicht. Ist sie aber nicht.
Was,
wenn sie nicht wiederkommt?
Ich
kenne ihre Fahrradstrecke, da ist eine Kreuzung, groß, mit viel zu
vielen Ampeln und Kunst im öffentlichen Raum, die im Weg steht.
So
etwas passiert, oder? Blutige Schleifspuren auf großen Kreuzungen,
wie Autos in Leitplanken, wie Feuerbälle in Flughafenvorstädten.
Was,
wenn sie nicht wiederkommt?
Auf
die Wand gegenüber im Hinterhof malt das Licht eine Form wie ein x
an die Wand.
Ich
sehe eine Fahrradfahrerin, auf einer Strecke von 10 Minuten
vielleicht, ich sehe sie hundertmal verunglücken. Straßenbahnen,
Autofahrer, Fußgänger, andere Fahrradfahrer: Auf der Strecke gibt
es nicht, was nicht gefährlich wäre.
Ich
sehe mich das Telefon hören, ich sehe mich das Telefon abnehmen, ich
sehe mich den ersten sein, der die Nachricht hört. Ich sehe mich
telefonieren, ich rufe ihre Eltern an, ihre Geschwister. Ich frage
mich, wie sowas geht. Wie man sowas macht. Diese Telefonanrufe
allein. Und dann: ihr Zimmer ausräumen, diese tausend kleinen
Gegenstände, die ich alle kenne. Umziehen, wahrscheinlich, raus aus
der Wohnung mit den viel zu vielen Erinnerungen. Wie macht man das?
Wegwerfen, weggeben, umziehen? Wie macht man weiter? Muss man
weitermachen? Wie steht man morgens auf, wie geht man abends ins
Bett? Wie erzählt man davon? Was, wenn sie nicht wiederkommt?
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