Montag, 26. August 2013

Wie man den Traum lebt

Zur Zeit plane ich mit dem wunderbaren eBook-Verlag mikrotext eine kleine, feine Publikation. Sie soll, wenn alles gut geht, im Winter/Frühjahr 2014 erscheinen. Es geht darum, dass in dem dem Band Studienabgänger der deutschen Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim beschreiben, wie das Leben so aussieht, wenn man diplomierter Schriftsteller ist.
Das ist der Rohschnitt zu meinem Text aus dem Band, ich fand ihn zu gut, um ihn nur in einem Medium zu publizieren.

Mein Studium an der Universität Hildesheim brach ich an einem sonnigen Spätsommertag in Südfrankreich ab. Ich saß auf einer Terrasse unter Maulbeerbäumen und Feigen, die gerade begannen, von den Bäumen zu fallen und auf dem Boden zu vergären, aber es war noch nicht schlimm. Wahrscheinlich trank ich Pastis. Ich hatte an dem Tag einen Artikel fertig geschrieben, eine Kurzgeschichte so gut wie fertig, ein paar gute Ideen in einen Essay eingearbeitet, knapp die Hälfte der Texte war sogar bezahlt, und ich dachte: Hey, eigentlich läufts doch ganz gut.
Auch eine Möglichkeit. Bild von mir.
So, wie ich mir das ausrechnete, war die Wahl damals folgende: Entweder, ich höre mit dem Studium auf (ich hatte den Studentenstatus damals sowieso nur noch aus steuerlichen Gründen), oder ich werfe der Uni Hildesheim noch mindestens zwei Semester lang absurd überhöhte Studiengebühren in den Rachen, um dann hinterher Titel und Abschluss zu haben, aber auch nicht wirklich bessere Chancen als Multifunktionsschreiberling in der großen, bösen freien Wirtschaft da draußen.
Vielleicht war es der Pastis, aber die Entscheidung fiel mir leicht. Und im ersten Jahr bereute ich sie mehrmals, meistens, wenn die Auftragslage gerade nicht so gut war, im Sommerloch, im Weihnachtsloch, überhaupt in diesen ganzen Löchern, die so ein Jahr manchmal hat. In den Löchern, in denen ich nur knapp mit der Miete, den Versicherungen und dem Essen hinkam. Ich habe nie gehungert, aber manchmal gab es tagelang nur Nudeln. Zeitweise hatte ich auch keine Krankenversicherung, wurde dafür aber in namhaften Zeitungen, Magazinen und Literaturzeitschriften publiziert.

Hildesheim ist ein merkwürdiger Ort, aber muss man wohl niemandem erzählen. In Hildesheim kann man beispielsweise den zukünftigen Theaterjungstar und den zukünftigen Schriftstellerjungstar - beide dick beladen mit Preisen, Stipendien und Ehre - dabei beobachten, wie sie zusammen in einer Kneipe namens Zur Hütte sitzen und mit heilig-hochironischem Ernst beobachten, wie der örtliche Alkoholiker zu Andrea-Berg-Schlagern tanzt. 
Hildesheim war für mich nie eine Stadt. Es war immer eine Werkstatt, Tag und Nacht erfüllt von dem klirrenden Gesang der aberhundert Werkstattgespräche eigenartiger Künstlertypen jeder Geschmacksrichtung, von denen viele noch nicht herausgefunden hatten, dass sie eigentlich keine Künstler waren.
Hildesheim ist aber auch, so schrieb es einmal eine Freundin, voller schwarzer Löcher: Man geht in irgendeine Richtung, sagen wir, zum restaurierten Martkplatz, und dann passiert etwas, und man ist plötzlich ganz woanders, am Bahnhof, vielleicht. Solche Sachen passieren ständig. Man kann dort gut verloren gehen.

Als ich verloren ging, dauerte es so ein, zwei Jahre. Ich bequatschte befreundete Kleinstverlage, mir ein Praktikum zu bescheinigen, dass ich gar nicht machte. Ich nahm auf dieser Grundlage so viele Urlaubssemester, wie die Studienordnung es erlaubte, um an meinem Roman zu schreiben. Immer wieder riefen Professoren, Eltern und Großeltern an um sich zu erkundigen, ob ich noch vor hätte, jemals einen Abschluss zu machen. Ich sagte, sobald der Roman fertig sei. Mein Geld verdiente ich da schon mit ein paar Artikeln hier und dort, mit Kopierjobs an der Uni und als Veranstalter einer monatlichen Late-Night-Reihe am Hildesheimer Theater. Außerdem wurde ich in dieser Zeit ein international bekannter Luftgitarrist, ich trat damit sogar in einem finnischen Werbespot auf.
Verlaufen ist gar nicht so lustig, wie man immer denkt“, sagte mir einmal einer unserer Professoren. „Am Anfang ist es kein Problem, aber schreib mal ein, zweihundert Seiten in die falsche Richtung. Dann hast du ein Problem.“
Den Roman habe ich abgeschlossen,jetzt, drei Jahre, nachdem ich das Studium abgebrochen habe. Ob er gut ist, kann ich schon längst nicht mehr sagen, ob er veröffentlicht wird, weiß nur das Literaturbetriebsorakel.

Ich lese manchmal Artikel über Menschen in diesen sogenannten prekären Lebensstituationen. Das sind immer Texte, die ein wenig schmierig sind von Rechtschaffenheit, geschrieben von Menschen, die er Meinung sind, dass, wenn sie sich schon jeden Tag den Arsch aufreißen, sie auch davon leben können sollten. Ich weiß nicht, ob sie Recht haben: Vielleicht zählt der Spaß an der Sache auch ein bisschen. Ich weiß, ich würde mir die Mühe nicht machen, wenn nichts anderes als Geld dabei rumkäme, wenn ich an nichts anderem interessiert wäre. Wenn es nur darum ginge, hätte ich etwas anderes studiert.
Wenn es sein müsste, könnte ich meistens vom Schreiben und dem ganzen anderen Kram leben – ob ich gut davon leben kann, steht auf einem anderen Blatt. Und darum geht es vielleicht auch: Gut zu leben. Ich finde, jeder hat durchaus das Recht, das zu verlangen. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich möchte gerne mal in den Urlaub fahren. Ich möchte spontan in den Zug steigen und Freunde besuchen. Ich möchte zu faul sein zu kochen und abends mal essen gehen oder eine Pizza liefern lassen. Ich möchte mir eine komplette DVD-Box irgendeiner Serie bestellen, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob das heißt, dass es am Ende des Monats wieder nur Nudeln gibt. Gut leben: Solche einfachen Sachen sind das für mich. Alleine mit Schreiben geht das vielleicht irgendwann mal, gerade geht es nicht. Also bin ich jetzt nicht nur Multifunktionsschreiber, Luftgitarrist und generell Rampensau, sondern auch Teilzeit-Barkeeper in einem Vier-Sterne-Hotel. Ich bin nicht unzufrieden damit. Ich kann vormittags schreiben und nachts Leute betrunken machen. In guten Monaten kann ich ein bisschen was zurücklegen, es gibt Trinkgeld, und der Koch macht jeden Abend etwas warmes zu essen.

Alter, du lebst echt den Traum”, sagte mir einmal eine Frau. Das war auf dem Campus der Universität Frankfurt, ich hatte an diesem Tag schon mehrere Ausgaben der Minima Moralia in den Händen unterschiedlicher Studenten gesichtet, und außerdem eine andere Frau – nicht die mit dem Traum – die ein Erich-Fried-Zitat auf ihren Unterarm tätowiert hatte. Es war Abend, im Hintergrund roch man Bratwürste, und die Theater/Medien-Fachschaft schickte sich gerade an, ihr Sommerfest zu feiern, wir würden später an dem Abend noch viel zu lange mitfeiern.
Wir hatten kurz vorher im Campuscafé eine Lesung veranstaltet, und die Frau mit dem Traum hatte irgendetwas mit der Organisation zu tun, ich habe vergessen, was genau, aber jedenfalls war das der Grund, weshalb wir überhaupt miteinander sprachen. Ich bin ansonsten nicht gut darin, mit Frauen, oder überhaupt fremden Menschen zu sprechen. Wenn sie zu Organisationsteams gehören, dann geht es. Sie erzählte, sie studiere Geschichte. Ich erzählte, was ich so den ganzen Tag mache: Schreiben, Barkeeping, manchmal Lesungen. Außerdem, sagte ich, bin ich ein exzellenter Luftgitarrist. Mit jedem Punkt, den ich erwähnte wurden ihre Augen ein Stück größer.
Dann sagte sie, ich wiederhole das nochmal: „Alter, du lebst echt den Traum.“
So habe ich das noch nie betrachtet“, sagte ich.
Seitdem aber schon. 

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