So war das damals. Bild von hier. |
Anfang 2012 hatte ich eine schwere Lungenentzündung, kombiniert mit einer Rippenfellentzündung, das geht öfter mal zusammen.
Ich hatte die Symptome lange für Rückenschmerzen gehalten, die ganze Sache viel zu lange verschleppt, so lange, bis ich eines nachts kaum noch atmen konnte und hohes Fieber bekam. Als es zuviel wurde, fuhr ich in die Notaufnahme, woraufhin man beschloss, mich für zwei Wochen dort zu behalten, mir Dinge in den Rücken zu stecken, um herauszufinden, welche Farbe die Flüssigkeit in dem Zwischenraum zwischen meiner Lunge hatte, die Bakterien mit zwei unterschiedlichen Sorten Antibiotika nicht nur versuchte loszuwerden, sondern sozusagen mit biologischer Kriegsführung hackte, und mir außerdem im Laufe einer Untersuchung das Zeug gab, an dem Michael Jackson gestorben ist [eine Droge, die ich nur weiterempfehlen kann].
Woher die Lungenentzündung kam, wusste keiner der Ärzte so genau, nur, dass sie ziemlich hartnäckig war. Aber als das Fieber mehr oder weniger nicht mehr so schlimm war, und die Schmerzen sich in Grenzen hielten, war das Krankenhaus nicht mehr wirklich unangenehm: Irgendwann hatte ich eine ganz vernünftige Bibliothek da, außerdem Internet, einen Laptop, dreimal am Tag annehmbares Essen, und ein Fernseher war sowieso da [tatsächlich war ich in dieser Zeit erstaunlich produktiv: Einen anderen, längeren Text habe ich da auch noch schnell fertig gemacht].
Das ist der Punkt, an dem die Anfrage kam, ob ich nicht einen Text für die 12. Ausgabe der Zeitschrift "Polar" schreiben wolle. Ich wurde gerade wieder gesund, ich konnte gerade wieder einigermaßen klar denken, und gesund werden hat ja auch immer etwas vom Aufwachen an einem klaren Morgen, an dem die Sonne scheint. Ich dachte: Super, ich liege hier eh nur im Bett rum, mache ich. Und schrieb diesen Text, während mir ein Tropf im Arm steckte, und langsam eine klare Flüssigkeit in meinen Körper tropfen ließ.
Fiebertraum von Neo-Tokyo
Heute
Nacht hat es geschneit, zum ersten Mal in diesem Jahr. Die lila
Tulpen am Fenster sehen vor dem weißen Hintergrund aus, als seien
sie aus Plastik. Jeden Morgen schraubt die Schwester mir einen
Schlauch in den Arm, eine durchsichtige Flüssigkeit läuft hinein,
etwas gegen Fieber. Schöne Blumen, sagt sie, und während ich warte,
dass die Flasche die über meinem Kopf baumelt, leer ist, lege ich
den Kopf zur Seite, zu den Plastiktulpen, die nicht aus Plastik
sind.
So. Nur mit Tulpen und Schnee. Bild von hier. |
Wenn
ich an die Zukunft denke, denke ich an Neo-Tokyo: Ich denke an „Ghost
in the shell“, ich denke an diese Szene, in der ein weiblicher
Android sich – mit Seilen gesichert, so nackt, wie es die es der Markt zuließ – sich mit dem Rücken zuerst in das
cleane, glühende Lichtermeer der Stadt stürzt.
Ich
liebe die glänzenden Zukunftsstädte, denen man sich im Film von
oben nähert, auf die man zufliegt, solange, bis man ganz am Boden
ist, ganz unten, und sich fragt, wo der ganze Glanz eigentlich
geblieben ist: Der Glanz in der der Dreck sind nur ein paar
Sturzsekunden voneinander entfernt.
Noch
zwei Tage, sagt die Schwester, während sie mir den Schlauch aus dem
Arm dreht, dann müssen die weg. Sie meint die Blumen, aber ich
verstehe nicht, woher sie das weiß.
Ich
schlafe oft wieder ein, wenn die Schwester weg ist, solange, bis das
Fieber sich gesenkt hat. Machmal träume ich von Neo-Tokyo, durch das
ich falle, verbunden mit der Stadt durch Schläuche und durch
Datenkabel die aus meinen Armen, Beinen, aus dem Rückenmark wachsen:
Ich treffe andere Menschen, denen es genauso geht, aber wir
verheddern uns mit unseren Kabeln nicht, wir wissen immer, wo der
andere ist. Wir wissen immer, wo wir sind und meist auch, wer wir
sind, obwohl das in Neo Tokyo nie ein großes Problem war. Wir wissen
immer, wenn etwas aus Plastik ist.
Wenn
die Tulpen wegkommen dann, nehme ich an, starre ich einfach
stundenlang in den Schnee.
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