Samstag, 5. Januar 2013

Krankengeschichte

So war das damals. Bild von hier.
Anfang 2012 hatte ich eine schwere Lungenentzündung, kombiniert mit einer Rippenfellentzündung, das geht öfter mal zusammen.
Ich hatte die Symptome lange für Rückenschmerzen gehalten, die ganze Sache viel zu lange verschleppt, so lange, bis ich eines nachts kaum noch atmen konnte und hohes Fieber bekam. Als es zuviel wurde, fuhr ich in die Notaufnahme, woraufhin man beschloss, mich für zwei Wochen dort zu behalten, mir Dinge in den Rücken zu stecken, um herauszufinden, welche Farbe die Flüssigkeit in dem Zwischenraum zwischen meiner Lunge hatte, die Bakterien mit zwei unterschiedlichen Sorten Antibiotika nicht nur versuchte loszuwerden, sondern sozusagen mit biologischer Kriegsführung hackte, und mir außerdem im Laufe einer Untersuchung das Zeug gab, an dem Michael Jackson gestorben ist [eine Droge, die ich nur weiterempfehlen kann].
Woher die Lungenentzündung kam, wusste keiner der Ärzte so genau, nur, dass sie ziemlich hartnäckig war. Aber als das Fieber mehr oder weniger nicht mehr so schlimm war, und die Schmerzen sich in Grenzen hielten, war das Krankenhaus nicht mehr wirklich unangenehm: Irgendwann hatte ich eine ganz vernünftige Bibliothek da, außerdem Internet, einen Laptop, dreimal am Tag annehmbares Essen, und ein Fernseher war sowieso da [tatsächlich war ich in dieser Zeit erstaunlich produktiv: Einen anderen, längeren Text habe ich da auch noch schnell fertig gemacht].
Das ist der Punkt, an dem die Anfrage kam, ob ich nicht einen Text für die 12. Ausgabe der Zeitschrift "Polar" schreiben wolle. Ich wurde gerade wieder gesund, ich konnte gerade wieder einigermaßen klar denken, und gesund werden hat ja auch immer etwas vom Aufwachen an einem klaren Morgen, an dem die Sonne scheint. Ich dachte: Super, ich liege hier eh nur im Bett rum, mache ich. Und schrieb diesen Text, während mir ein Tropf im Arm steckte, und langsam eine klare Flüssigkeit in meinen Körper tropfen ließ.





Fiebertraum von Neo-Tokyo

Heute Nacht hat es geschneit, zum ersten Mal in diesem Jahr. Die lila Tulpen am Fenster sehen vor dem weißen Hintergrund aus, als seien sie aus Plastik. Jeden Morgen schraubt die Schwester mir einen Schlauch in den Arm, eine durchsichtige Flüssigkeit läuft hinein, etwas gegen Fieber. Schöne Blumen, sagt sie, und während ich warte, dass die Flasche die über meinem Kopf baumelt, leer ist, lege ich den Kopf zur Seite, zu den Plastiktulpen, die nicht aus Plastik sind.
So. Nur mit Tulpen und Schnee. Bild von hier.
Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich an Neo-Tokyo: Ich denke an „Ghost in the shell“, ich denke an diese Szene, in der ein weiblicher Android sich – mit Seilen gesichert, so nackt, wie es die es der Markt zuließ – sich mit dem Rücken zuerst in das cleane, glühende Lichtermeer der Stadt stürzt.
Ich liebe die glänzenden Zukunftsstädte, denen man sich im Film von oben nähert, auf die man zufliegt, solange, bis man ganz am Boden ist, ganz unten, und sich fragt, wo der ganze Glanz eigentlich geblieben ist: Der Glanz in der der Dreck sind nur ein paar Sturzsekunden voneinander entfernt.
Noch zwei Tage, sagt die Schwester, während sie mir den Schlauch aus dem Arm dreht, dann müssen die weg. Sie meint die Blumen, aber ich verstehe nicht, woher sie das weiß.
Ich schlafe oft wieder ein, wenn die Schwester weg ist, solange, bis das Fieber sich gesenkt hat. Machmal träume ich von Neo-Tokyo, durch das ich falle, verbunden mit der Stadt durch Schläuche und durch Datenkabel die aus meinen Armen, Beinen, aus dem Rückenmark wachsen: Ich treffe andere Menschen, denen es genauso geht, aber wir verheddern uns mit unseren Kabeln nicht, wir wissen immer, wo der andere ist. Wir wissen immer, wo wir sind und meist auch, wer wir sind, obwohl das in Neo Tokyo nie ein großes Problem war. Wir wissen immer, wenn etwas aus Plastik ist.
Wenn die Tulpen wegkommen dann, nehme ich an, starre ich einfach stundenlang in den Schnee.



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