Mich interessierte, was die deutsche Indie-Szene so treibt, also trieb ich mich Mitte 2012 für die GEE überall herum und telefonierte noch mehr, auf der Suche nach den Protagonisten der deutschen Indie-Games-Szene. Und fand heraus: Es gibt sie. Es gibt viele davon. Und sie hatten großartige Sachen in den Startlöchern, die mittlerweile auch schon fertig sind.
Illustriert hat die Reportage der großartige Axel Pfaender, und allein deshalb lohnt es sich, die entsprechende, wenn auch etwas ältere Ausgabe der GEE zu kaufen.
Das Leben der Anderen
Wer
hätte das gedacht: In Deutschland findet sich im Moment eine starke
Indie-Game-Szene zusammen, die sich auch international nicht zu
verstecken braucht. Jan Fischer hat für die GEE mit den
Protagonisten der Szene gesprochen.
Indie Game, das Material. Bild von hier. |
Tinys
Laser zerschneidet die riesige Steinfigur als wäre sie aus Butter,
zwei Brocken fallen runter in den Wüstensand, wirbeln Staub auf.
Tiny steht davor, seine Körperhaltung wirkt stolz, irgendwie
zufrieden.
Sebastian
Schulz, 32, rückt näher an den Bildschirm. Er betrachtet die beiden
Brocken im Wüstensand, „Früher“, sagt er und legt den Kopf
schief, „wäre da ein ganz komisches Polygon entstanden.“ Die
anderen fünf Mitglieder des „Black Pants Studio“ stehen um den
Bildschirm herum und nicken. Überall sind Kabel, die sich über
Tischreihen mit PCs winden, mehr davon, als eigentlich in den Raum
passen. An den Wänden hängen Poster von David Hasselhoff und den
Scorpions. Der Raum im Gebäude Wilhelmshöher Allee der Universität
Kassel trägt tatsächlich die Nummer 1337. Dass hier gerade eines
der am meisten erwarteten Indie Games der nächsten Zeit entsteht,
darauf käme man nicht unbedingt. Tatsächlich wird hier gerade
letzte Hand an „Tiny&Big“ gelegt, und wie sehr das Spiel
erwartet wird, kann man in der hinteren Ecke des Raumes sehen: Fast
schon verschämt, auf einem Billy-Regal stapeln sich da Trophäen von
deutschen und amerikanischen Indie-Game-Preisen.
„Die
Technik“, sagt der 27jährige Wolf Lang und stochert in seinem –
so heißt es auf der Karte wirklich – Dönersalat herum „ist
mittlerweile soweit, dass fast jeder Spiele machen kann. Auch gute
Spiele. Aber Spiele, die sich verkaufen: Das ist schwer.“ Der
Dönersalat steht in einem Imbiss in Hamburg, dort, wo der Stadtteil
St. Georg langsam zu einem Niemandsland wird, das in Bürohäusern
verschwindet. Wolf Lang hat Ringe unter den Augen: Er ist gerade aus
San Francisco von der „Games Developers Conference“
wiedergekommen. Das Spiel „Beatbuddy“, das er und die vier
weiteren Mitglieder von „Threaks“ zur Zeit entwickeln ist als
„Selected Project“ dorthin eingeladen worden, das heißt, sie
hatten die Möglichkeit, „Beatbuddy“ dort Publishern,
vorzustellen, denjenigen, die das Spiel herausbringen können, vor
allem aber denjenigen, die das Budget für vernünftiges Marketing
haben.
Niemand wird reich
„Tiny&Big“
und „Beatbuddy“ haben vieles gemeinsam: Sie sind von der Idee bis
zum jetzigen Stand - jeweils kurz vor der Vollendung - komplett in
Eigenregie entstanden. Sie begannen ihr Leben als Studienprojekte,
die sehr viel größer wurden als ursprünglich gedacht und sehr viel
mehr konnten als ihren Machern – bei „Tiny&Big“ ein
zufälliger Zusammenschluss von Kunst- und Informatikstudenten, bei
„Beatbuddy“ Mediendesign und Informatik - einen Schein zu
verschaffen. Die komplett mit dem Laser zerstörbare Welt von
„Tiny&Big“ und die spielbaren Musikwelten von „Beatbuddy“
sind innovative Ideen, und haben ihren Machern einiges abverlangt.
Reich sind sie damit nicht geworden, und werden es vielleicht auch
nie. Bis jetzt leben weder die „Threaks“ noch die Mitglieder der
„Black Pants Studio“ - trotz Förderungen und Wettbewerbsgewinnen
– auch nur annähernd finanziell sorgenfrei. Beide Spiele sollen in
diesem Jahr noch herauskommen. Beide dürften zumindest für ein
bisschen Furore sorgen. Und die Macher beider Spiele sagen: „Indie
sein heißt unabhängig zu sein.“ Selbst wenn der Preis dafür ist,
zwischenzeitlich wieder auf dem Dachboden oder im Keller der Eltern
zu produzieren.
„Indie“,
sagt Alexander Zacherl, 26, „heißt für mich, ein kompromissloses
Spiel zu machen, ohne dass mir einer reinredet.“ Zacherl entwickelt
mit dem Münchner Studio „Bitbarons“ Indie Games, und ist damit
weiter als das „Black Pants Studio“ oder die „Threaks“.
Begonnen haben auch die „Bitbarons“ nach und während des
Studiums mit der staatlichen „Exist“ - Förderung. Das
Bitbarons-Spiel „Astroslugs“ war für PC und Mac vergleichweise
erfolgreich, und läuft auch in der iPad-Version ganz gut. Leben kann
das dreiköpfige Entwicklerteam davon nicht: Neben den Indie Games
übernehmen die „Bitbarons“ immer wieder Entwickleraufträge von
außen. „Natürlich könnte ich mich anstellen lassen“, sagt
Zacherl, „und den hundertausendsten Weltkriegs-Shooter oder
Bejeweled-Klon machen. Aber ich glaube nicht, dass ich dann kreativ
erfüllt wäre.“ Über seinem Schreibtisch hängt ein Zettel mit
dem Spruch: „Do good, have fun, make money“. „Wenn ich nur
eines davon streichen müsste“, sagt Zacherl,, „dann wäre ich
nicht mehr Indie.“
Autorenspiele
„Geld“,
sagt Krystian Majewski, „wollte ich eigentlich nie verdienen.“
Der 30jährige Spieldesigner hat das viel beachtete,
dunkel-psychologische Point-and-Click-Adventure „Trauma“ gemacht,
und arbeitet im Moment beim „Cologne Game Lab“. „Trauma“,
sagt er, sei so etwas wie ein Autorenspiel: Persönlicher,
individueller als Spiele von großen Entwicklern. „Das macht für
mich“, sagt er, „Indie-Games aus: die persönliche Beziehung, die
Entwickler mit ihren Spielen zu den Spielern aufbauen können.“
Autorenspiele,
den Begriff benutzt auch Thorsten Wiedemann. Der 40jährige ist einer
der Organisatoren der „A MAZE. Indie Connect“, der größten
deutschen Indie-Games-Messe. „Wichtig ist“, sagt er, „dass die
deutsche Indie-Szene erstmal eine Identität aufbaut.“ Die
Indie-Szene in in den USA, sagt er, sei riesig, und oft würden
Spiele, die als Indies verkauft werden, mit gigantischem Budget
entwickelt. Da kommt die deutsche Szene nicht mit. Auch, weil viele
Entwicklerstudio, die sich in den USA „Indie“ nennen eigentlich
mit Vollprofis besetzt sind, die vorher 10 Jahre bei großen
Publishern oder Entwicklern wie EA oder Microsoft gearbeitet haben.
„Autorenspiele, kleine, persönliche Spiel, die gesellschaftliche
Problem anpacken oder ästhetisch neue Wege gehen: Das kann die
deutsche Szene von der amerikanischen abheben.“ Nur spricht
Wiedemann – sprechen viele derjenigen, die sich dazu zählen -
nicht gerne von der „deutschen“ Indie-Szene, oder von der
„deutschsprachigen“. „Das ist“, sagt Wolf Lang, „das
Problem an der deutschen Szene. Die Entwickler denken nicht über die
Landesgrenzen hinaus.“ Tatsächlich werden oft – nicht immer -
Spiele oder die Webseiten der Entwickler nicht einmal ins Englische
übersetzt, und wenn doch, wird oft der internationale Vertrieb
vernachlässigt. „Der deutsche Markt“, sagt Lang, „ist den
meisten groß genug.“ Deshalb ist das Programm bei der „A MAZE.
Indie Connect“ auch international, hat Wiedemann Entwickler und
Publisher aus verschiedensten Ländern eingeladen.
Wiedemann
ist nicht der einzige, der an der Vernetzung der deutschen Indies
arbeitet. Gerade ist der Blog „Indie Inside“ entstanden, in dem
die Szene sich austauscht – von den billigsten Hotels in San
Francisco während des „Independent Games Festival“ über Tipps
zur Erstellung eines Business-Plans bis hin zu Diskussionen über
das, was Indie eigentlich ist und wo es hin soll. „Im Prinzip geht
es darum, überhaupt erstmal eine Infrastruktur und eine Art von
Community aufzubauen“, sagt Claas Paletta, 30, einer der
Mitinitiatoren des Projekts, „Die Szene braucht einen Ort, an dem
sie sich treffen kann, an dem sie sich austauschen kann, die anderen
darüber informieren, wer gerade was macht, was für Veranstaltungen
gerade anstehen. Aber vorher hat sich die Indie Szene nur getroffen,
wenn sie bei den großen Spielemessen am Rand rumstand und sich dort
nicht ganz wohl fühlte.“ Indie Inside sei, meint Wolf Lang, sei
ein wichtiger Schritt hin zu einer gemeinsamen Identität.
Der Szene fehlt ein Hit
Die,
wenn es nach Thorsten Wiedemann geht, nicht so aussieht wie in den
USA. Er arbeitet gerade auch daran, den im letzten Jahr erschienenen
Film „Indie Game. The Movie“ auf der „A MAZE. Indie Connect“
zeigen zu dürfen. Der zeigt die Entstehung der amerikanischen
Indie-Hits „Super Meat Boy“, „Brad“ und „Fez“. „Indie“,
sagt Wiedemann, „ist in letzter Zeit auch ein Lifestyle-Label
geworden, mit dem mittlerweile auch die großen Publisher sich gerne
schmücken.“ Sicherlich haben die besseren technischen
Voraussetzungen und die leichteren Distributionswege, gerade über
Apples App Store sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, dass die
Anzahl der Indie Games in den letzten Jahren geradezu explodiert ist.
Aber der Lifestyle, den „Indie Game. The Movie“ zeigt, ist
bestimmt auch nicht ganz unschuldig daran, diese Kreuzung zwischen
dem Hauch künstlerischer Rebellion, den Indie-Music früher mal
hatte und bärtigen Hipster-Nerd-Prototypen. Es gibt keine
Statistiken für deutsche Indie Games, oder für in Deutschland
gespielte internationale Indie Games, aber im mobilen Bereich, dort
also, wo die Zugangsschwelle am niedrigsten ist, liegt der Anteil der
Indie-Games bei 68%. Das vierte „Humble Indie Bundle“, ein Paket
mit Indie-Spielen, dass man für einen beliebigen Preis kaufen und
herunterladen kann, verkaufte sich über 2 Millionen mal.
Der
deutsche Anteil an den explodierenden Verkaufszahlen von Indie Games
ist verschwindend gering, aber Spiele wie „Beatbuddy“, „Tiny&Big“
und „Astroslugs“ schielen begierig auf den internationalen Markt,
und schneiden im Vergleich auf Messen und in Wettbewerben nicht
schlecht ab – das Preisregal von „Tiny&Big“ ist der beste
Beweis. „Wir wollen“, sagt auch Wolf Lang, „mit „Beatbuddy“
bekannt, reich und berühmt werden.“ Und das ist, alles in allem,
gar nicht unwahrscheinlich. „Was der deutschen Indie-Szene fehlt“,
meint Alexander Zacherl, „ist nicht das Können. Der Szene fehlt
ein Hit.“
Links, Infos:
Die „A MAZE Indie-Connect“ findet in diesem Jahr am 26. und 27. April in Berlin statt. Neben einem Indie-Game-Wettbewerb gibt es Workshops, Partys, Ausstellungen und Vorträge zum Thema Indie-Games.
Krystian Majewski, 30, Indie-Spiele Designer und Mitarbeiter des Cologne Game Lab. Sein Spiel Trauma soll demnächst auch für iPad erscheinen.
Thorsten S. Wiedemann, 40, kümmert sich unter anderem für A MAZE um die Indie-Game-Kultur und ist einer der Organisatoren der „A MAZE Indie-Connect“.
Alexander Zacherl, 26, entwickelt zusammen mit dem Rest der Entwicklerschmiede „Bitbarons“ Indie-Games. „Astroslugs“ erschien jüngst auch für iPad.
Claas Paletta, 30, arbeitete bei dem Entwicklerstudio „Daedalic“ und kümmert sich nun um die deutschen Indies. Unter anderem als einer der Initiatoren der Plattform Indie Inside
Wolf Lang, 27, ist eines der vier Mitglieder von „Threaks“, und arbeitet im Moment an dem Spiel „Beatbuddy“.
Sebastian Schulz, 32, arbeitet zusammen mit den fünf anderen Mitgliedern des „Black Pants Studio“ an dem Spiel „Tiny&Big“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen