Montag, 3. Dezember 2012

Indie sein

Indie Games sind irgendwie ein Ding, nach wie vor. Jedes Humble Bundle verkauft sich besser als das vorhergehende (obwohl das aktuelle Bundle nicht mehr sehr Indie ist, aber das ist ein anderes paar Schuhe), Filme wie Indie Game: The Movie mystifizieren die Szene, erheben die Protagonisten in den Status von Künstlern und behaupten das Indie-Game-machen auch als Lifestyle. Spiele wie "Super Meat Boy", "Braid" oder "Lone Survivor" sind, zusammen mit vielen, vielen anderen, tatsächlich super, und vor allen Dingen: Innovativer als die meisten Fließband-Blockbuster-Games. Steam, der Google Play Store und Apples App Store sind, trotz ihrer jeweiligen, speziellen Probleme, gute Vertriebsmöglichkeiten.

Mich interessierte, was die deutsche Indie-Szene so treibt, also trieb ich mich Mitte 2012 für die GEE überall herum und telefonierte noch mehr, auf der Suche nach den Protagonisten der deutschen Indie-Games-Szene. Und fand heraus: Es gibt sie. Es gibt viele davon. Und sie hatten großartige Sachen in den Startlöchern, die mittlerweile auch schon fertig sind.


Illustriert hat die Reportage der großartige Axel Pfaender, und allein deshalb lohnt es sich, die entsprechende, wenn auch etwas ältere Ausgabe der GEE zu kaufen







Das Leben der Anderen

Wer hätte das gedacht: In Deutschland findet sich im Moment eine starke Indie-Game-Szene zusammen, die sich auch international nicht zu verstecken braucht. Jan Fischer hat für die GEE mit den Protagonisten der Szene gesprochen.



Indie Game, das Material. Bild von hier.
Tinys Laser zerschneidet die riesige Steinfigur als wäre sie aus Butter, zwei Brocken fallen runter in den Wüstensand, wirbeln Staub auf. Tiny steht davor, seine Körperhaltung wirkt stolz, irgendwie zufrieden.
Sebastian Schulz, 32, rückt näher an den Bildschirm. Er betrachtet die beiden Brocken im Wüstensand, „Früher“, sagt er und legt den Kopf schief, „wäre da ein ganz komisches Polygon entstanden.“ Die anderen fünf Mitglieder des „Black Pants Studio“ stehen um den Bildschirm herum und nicken. Überall sind Kabel, die sich über Tischreihen mit PCs winden, mehr davon, als eigentlich in den Raum passen. An den Wänden hängen Poster von David Hasselhoff und den Scorpions. Der Raum im Gebäude Wilhelmshöher Allee der Universität Kassel trägt tatsächlich die Nummer 1337. Dass hier gerade eines der am meisten erwarteten Indie Games der nächsten Zeit entsteht, darauf käme man nicht unbedingt. Tatsächlich wird hier gerade letzte Hand an „Tiny&Big“ gelegt, und wie sehr das Spiel erwartet wird, kann man in der hinteren Ecke des Raumes sehen: Fast schon verschämt, auf einem Billy-Regal stapeln sich da Trophäen von deutschen und amerikanischen Indie-Game-Preisen.


Die Technik“, sagt der 27jährige Wolf Lang und stochert in seinem – so heißt es auf der Karte wirklich – Dönersalat herum „ist mittlerweile soweit, dass fast jeder Spiele machen kann. Auch gute Spiele. Aber Spiele, die sich verkaufen: Das ist schwer.“ Der Dönersalat steht in einem Imbiss in Hamburg, dort, wo der Stadtteil St. Georg langsam zu einem Niemandsland wird, das in Bürohäusern verschwindet. Wolf Lang hat Ringe unter den Augen: Er ist gerade aus San Francisco von der „Games Developers Conference“ wiedergekommen. Das Spiel „Beatbuddy“, das er und die vier weiteren Mitglieder von „Threaks“ zur Zeit entwickeln ist als „Selected Project“ dorthin eingeladen worden, das heißt, sie hatten die Möglichkeit, „Beatbuddy“ dort Publishern, vorzustellen, denjenigen, die das Spiel herausbringen können, vor allem aber denjenigen, die das Budget für vernünftiges Marketing haben.

Niemand wird reich

Tiny&Big“ und „Beatbuddy“ haben vieles gemeinsam: Sie sind von der Idee bis zum jetzigen Stand - jeweils kurz vor der Vollendung - komplett in Eigenregie entstanden. Sie begannen ihr Leben als Studienprojekte, die sehr viel größer wurden als ursprünglich gedacht und sehr viel mehr konnten als ihren Machern – bei „Tiny&Big“ ein zufälliger Zusammenschluss von Kunst- und Informatikstudenten, bei „Beatbuddy“ Mediendesign und Informatik - einen Schein zu verschaffen. Die komplett mit dem Laser zerstörbare Welt von „Tiny&Big“ und die spielbaren Musikwelten von „Beatbuddy“ sind innovative Ideen, und haben ihren Machern einiges abverlangt. Reich sind sie damit nicht geworden, und werden es vielleicht auch nie. Bis jetzt leben weder die „Threaks“ noch die Mitglieder der „Black Pants Studio“ - trotz Förderungen und Wettbewerbsgewinnen – auch nur annähernd finanziell sorgenfrei. Beide Spiele sollen in diesem Jahr noch herauskommen. Beide dürften zumindest für ein bisschen Furore sorgen. Und die Macher beider Spiele sagen: „Indie sein heißt unabhängig zu sein.“ Selbst wenn der Preis dafür ist, zwischenzeitlich wieder auf dem Dachboden oder im Keller der Eltern zu produzieren.

Indie“, sagt Alexander Zacherl, 26, „heißt für mich, ein kompromissloses Spiel zu machen, ohne dass mir einer reinredet.“ Zacherl entwickelt mit dem Münchner Studio „Bitbarons“ Indie Games, und ist damit weiter als das „Black Pants Studio“ oder die „Threaks“. Begonnen haben auch die „Bitbarons“ nach und während des Studiums mit der staatlichen „Exist“ - Förderung. Das Bitbarons-Spiel „Astroslugs“ war für PC und Mac vergleichweise erfolgreich, und läuft auch in der iPad-Version ganz gut. Leben kann das dreiköpfige Entwicklerteam davon nicht: Neben den Indie Games übernehmen die „Bitbarons“ immer wieder Entwickleraufträge von außen. „Natürlich könnte ich mich anstellen lassen“, sagt Zacherl, „und den hundertausendsten Weltkriegs-Shooter oder Bejeweled-Klon machen. Aber ich glaube nicht, dass ich dann kreativ erfüllt wäre.“ Über seinem Schreibtisch hängt ein Zettel mit dem Spruch: „Do good, have fun, make money“. „Wenn ich nur eines davon streichen müsste“, sagt Zacherl,, „dann wäre ich nicht mehr Indie.“

Autorenspiele

Geld“, sagt Krystian Majewski, „wollte ich eigentlich nie verdienen.“ Der 30jährige Spieldesigner hat das viel beachtete, dunkel-psychologische Point-and-Click-Adventure „Trauma“ gemacht, und arbeitet im Moment beim „Cologne Game Lab“. „Trauma“, sagt er, sei so etwas wie ein Autorenspiel: Persönlicher, individueller als Spiele von großen Entwicklern. „Das macht für mich“, sagt er, „Indie-Games aus: die persönliche Beziehung, die Entwickler mit ihren Spielen zu den Spielern aufbauen können.“
Autorenspiele, den Begriff benutzt auch Thorsten Wiedemann. Der 40jährige ist einer der Organisatoren der „A MAZE. Indie Connect“, der größten deutschen Indie-Games-Messe. „Wichtig ist“, sagt er, „dass die deutsche Indie-Szene erstmal eine Identität aufbaut.“ Die Indie-Szene in in den USA, sagt er, sei riesig, und oft würden Spiele, die als Indies verkauft werden, mit gigantischem Budget entwickelt. Da kommt die deutsche Szene nicht mit. Auch, weil viele Entwicklerstudio, die sich in den USA „Indie“ nennen eigentlich mit Vollprofis besetzt sind, die vorher 10 Jahre bei großen Publishern oder Entwicklern wie EA oder Microsoft gearbeitet haben. „Autorenspiele, kleine, persönliche Spiel, die gesellschaftliche Problem anpacken oder ästhetisch neue Wege gehen: Das kann die deutsche Szene von der amerikanischen abheben.“ Nur spricht Wiedemann – sprechen viele derjenigen, die sich dazu zählen - nicht gerne von der „deutschen“ Indie-Szene, oder von der „deutschsprachigen“. „Das ist“, sagt Wolf Lang, „das Problem an der deutschen Szene. Die Entwickler denken nicht über die Landesgrenzen hinaus.“ Tatsächlich werden oft – nicht immer - Spiele oder die Webseiten der Entwickler nicht einmal ins Englische übersetzt, und wenn doch, wird oft der internationale Vertrieb vernachlässigt. „Der deutsche Markt“, sagt Lang, „ist den meisten groß genug.“ Deshalb ist das Programm bei der „A MAZE. Indie Connect“ auch international, hat Wiedemann Entwickler und Publisher aus verschiedensten Ländern eingeladen.

Wiedemann ist nicht der einzige, der an der Vernetzung der deutschen Indies arbeitet. Gerade ist der Blog „Indie Inside“ entstanden, in dem die Szene sich austauscht – von den billigsten Hotels in San Francisco während des „Independent Games Festival“ über Tipps zur Erstellung eines Business-Plans bis hin zu Diskussionen über das, was Indie eigentlich ist und wo es hin soll. „Im Prinzip geht es darum, überhaupt erstmal eine Infrastruktur und eine Art von Community aufzubauen“, sagt Claas Paletta, 30, einer der Mitinitiatoren des Projekts, „Die Szene braucht einen Ort, an dem sie sich treffen kann, an dem sie sich austauschen kann, die anderen darüber informieren, wer gerade was macht, was für Veranstaltungen gerade anstehen. Aber vorher hat sich die Indie Szene nur getroffen, wenn sie bei den großen Spielemessen am Rand rumstand und sich dort nicht ganz wohl fühlte.“ Indie Inside sei, meint Wolf Lang, sei ein wichtiger Schritt hin zu einer gemeinsamen Identität.

Der Szene fehlt ein Hit

Die, wenn es nach Thorsten Wiedemann geht, nicht so aussieht wie in den USA. Er arbeitet gerade auch daran, den im letzten Jahr erschienenen Film „Indie Game. The Movie“ auf der „A MAZE. Indie Connect“ zeigen zu dürfen. Der zeigt die Entstehung der amerikanischen Indie-Hits „Super Meat Boy“, „Brad“ und „Fez“. „Indie“, sagt Wiedemann, „ist in letzter Zeit auch ein Lifestyle-Label geworden, mit dem mittlerweile auch die großen Publisher sich gerne schmücken.“ Sicherlich haben die besseren technischen Voraussetzungen und die leichteren Distributionswege, gerade über Apples App Store sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, dass die Anzahl der Indie Games in den letzten Jahren geradezu explodiert ist. Aber der Lifestyle, den „Indie Game. The Movie“ zeigt, ist bestimmt auch nicht ganz unschuldig daran, diese Kreuzung zwischen dem Hauch künstlerischer Rebellion, den Indie-Music früher mal hatte und bärtigen Hipster-Nerd-Prototypen. Es gibt keine Statistiken für deutsche Indie Games, oder für in Deutschland gespielte internationale Indie Games, aber im mobilen Bereich, dort also, wo die Zugangsschwelle am niedrigsten ist, liegt der Anteil der Indie-Games bei 68%. Das vierte „Humble Indie Bundle“, ein Paket mit Indie-Spielen, dass man für einen beliebigen Preis kaufen und herunterladen kann, verkaufte sich über 2 Millionen mal.

Der deutsche Anteil an den explodierenden Verkaufszahlen von Indie Games ist verschwindend gering, aber Spiele wie „Beatbuddy“, „Tiny&Big“ und „Astroslugs“ schielen begierig auf den internationalen Markt, und schneiden im Vergleich auf Messen und in Wettbewerben nicht schlecht ab – das Preisregal von „Tiny&Big“ ist der beste Beweis. „Wir wollen“, sagt auch Wolf Lang, „mit „Beatbuddy“ bekannt, reich und berühmt werden.“ Und das ist, alles in allem, gar nicht unwahrscheinlich. „Was der deutschen Indie-Szene fehlt“, meint Alexander Zacherl, „ist nicht das Können. Der Szene fehlt ein Hit.“ 




Links, Infos: 

Die „A MAZE Indie-Connect“ findet in diesem Jahr am 26. und 27. April in Berlin statt. Neben einem Indie-Game-Wettbewerb gibt es Workshops, Partys, Ausstellungen und Vorträge zum Thema Indie-Games.


Krystian Majewski, 30, Indie-Spiele Designer und Mitarbeiter des Cologne Game Lab. Sein Spiel Trauma soll demnächst auch für iPad erscheinen.


Thorsten S. Wiedemann, 40, kümmert sich unter anderem für A MAZE um die Indie-Game-Kultur und ist einer der Organisatoren der „A MAZE Indie-Connect“.


Alexander Zacherl, 26, entwickelt zusammen mit dem Rest der Entwicklerschmiede „Bitbarons“ Indie-Games. „Astroslugs“ erschien jüngst auch für iPad.


Claas Paletta, 30, arbeitete bei dem Entwicklerstudio „Daedalic“ und kümmert sich nun um die deutschen Indies. Unter anderem als einer der Initiatoren der Plattform Indie Inside


Wolf Lang, 27, ist eines der vier Mitglieder von „Threaks“, und arbeitet im Moment an dem Spiel „Beatbuddy“. 


Sebastian Schulz, 32, arbeitet zusammen mit den fünf anderen Mitgliedern des „Black Pants Studio“ an dem Spiel „Tiny&Big

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