Von 2003 bis 2011 studierte ich in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Die nachfolgende Kurzgeschichte ist in einer der Studiengangsanthologien erscheinen, Landpartie heißt das, dieser Text steht in der von 2009.
Tatsächlich ist dies ein Text, der es ziemlich weit gebracht hat: Ich habe ihn auf der Leipziger Buchmesse gelesen, in irgendsoeiner Galerie, in der ich kurz vor dem Lesungstisch stolperte, weil ich müde war, und Wein und Bier gehabt hatte, und etwas von der Kunst herunterriss, die dort an den Wänden hing.
Ich habe ihn auch in Weimar gelesen, auf dem Literaturfestival Juli im Juni von 2010, an meinem Geburtstag. Ich bekam einen Gingko geschenkt, und feierte noch ein bisschen, so lange, bis ich im Morgengrauen mit dem Ginkgo unter dem Arm (der mittlerweile in einer Punk-Kneipe umgefallen war) wieder ins Hotel zurückstolpterte. Ich möchte nicht wissen, was der Portier sich gedacht hat.
Außerdem habe ich ihn einmal bei einem netten, kleinen Event in einen Mehrgenerationenhaus gelesen. Da hatte ich aber nur Cola.
Lustige Geschichte nebenbei: Es ist immer wieder ein Problem, das Emoticon am Ende des Textes auf einer Lesung zu lesen. Ich habe da verschiedenes ausprobiert, aber nie wirklich eine vernünftige Lösung gefunden.
Inspiriert übrigens von dem Song "Pacific Ocean Blues" von Dennis Wilson, dank der GEMA leider nicht verlinkbar. Und diesen komischen, sehr jungen Mädchen, die mit diesen viel zu dünnen Beinen durch die Fußgängerzonen staksen. Und einem Essay über Pokémon, den ich parallel schrieb.
Pacific Ocean Blues
„Yeah
yeah yeah yeah
Water
yeah water yeah water yeah“
Dennis
Wilson - Pacific Ocean Blues
Stürme innen, Stürme außen. Bild von hier. |
Schon auf dem Schiff schimmerte das Metall in den
Zähnen des Vogelmädchens. Pacific Ocean Blues bemerkte es nie. Das
Metall war dem Vogelmädchen hinters Zahnfleisch geschoben zur
Verstärkung ihrer hohlen Vogelknochen. Ihre Augen standen schief.
Ich hatte die ¾ -Gitarre sicher unter Deck gebracht. Was sie trug
war rosa und glänzte von kleinen Glitzersteinen. Meine Eltern
stellten mich ihren Eltern vor und stellten mich ihr vor. Ich
schüttelte ihre Hand, und sie sah mich mit ihren schiefen Augen an.
Ihre rosa Glitzermütze flatterte im Seewind. Sie hatte Reiherbeine
und weiße Haut aus weichem Plastilin.
So,
sagte ich.
So,
sagte sie.
Wir
fahren zur Insel, sagte ich.
Hier
gibt es nur Inseln, sagte sie.
Wie
in Japan, sagte ich.
Hokkaido,
sagte sie.
Tagsüber
gingen wir am Strand entlang zurück zum Hafen und schauten mit Sand
zwischen den Zähnen den Schiffen beim Ablegen zu. Unser Schiff lag
nicht mehr am Dock. Andere Schiffe waren angekommen.
Das
fährt zu einer anderen Insel, sagte das Vogelmädchen.
Das
andere auch, sagte ich.
Das
dritte nirgendwohin, sagte das Vogelmädchen.
Das
Schiff nach Hokkaido verpassten wir immer nur knapp. Mädchen mit
Flip-Flop-Lächeln liefen auf Rollschuhen über den Asphalt. Sie
hatten pinkblaue Augen und schauten dem Vogelmädchen ins schiefe
Gesicht.
Wie
am Strand von California, sagte das Vogelmädchen.
Malibu,
sagte ich.
Miami,
sagte das Vogelmädchen.
Beverly
Hills, sagte ich.
Nachts
schlichen wir erst ins Grüne und von da aus an den Strand, und auf
dem Weg dorthin stakste das Vogelmädchen durch den Mischsand und
scheuchte Fischreiher aus brackigen Tümpeln auf. Sie trug keinen BH
und die rosa Glitzermütze tief im Gesicht.
Krah,
krah, sagte ich,
ieek,
ieek, sagte das Vogelmädchen.
Wir
vergruben unsere Füße im Sand und das Handy um meinen Hals spielte
Weißnasenblues. Wir vergruben uns im Sand und die Höhen schepperten
von meiner Brust zum Meer.
Malibu,
sagte ich.
Beverly
Hills, sagte das Vogelmädchen.
Wir
beide wohnten in einem Haus, das ganz aus Glas war und ein kleines
Stück weit von L.A. Richtung Pazifik gebaut. Vom Haus blickten wir
in Richtung Japan. Wenn die Tage klar waren, konnten wir die
Leuchtfeuer von Hokkaido sehen. Wir
rollten uns ein in unsere Schlafsäcke die innen voll waren mit Sand
und rochen den Rauch.
Wir schliefen
ein, als wir uns an das Kratzen der Sandkörner gewöhnt hatten.
Morgens
trafen sich unsere Eltern zum Frühstück vor den Bauernhäusern. Sie
hatten nebeneinander gemietet. Den Strandsand hatten wir überall
verteilt. Wir aßen Miso-Suppe mit Sanddornmarmelade und zum
Nachtisch California-Wraps. Die Eltern fragten uns nach unserem Tag.
Das Vogelmädchen stupste mich mit ihrer rosa Glitzersocke an.
Heute
gehen wir surfen, sagte ich.
Und
dann gehen wir ins Kino, sagte das Vogelmädchen.
In
den Film, in dem du mitspielst, sagte ich.
Ich
küsse in dem Film den blonden Surferboy, den jeder kennt, sagte das
Vogelmädchen.
Ich
lachte. Meine Eltern nahmen mich beiseite und sagten, ein gebrochener
Kiefer sei nicht lustig.
Nachts
gingen wir durchs Grüne an den Strand und betrachteten die Lichter
von Hokkaido. Das Metall hinter den Zähnen des Vogelmädchens
schimmerte. Unser Haus aus Glas bestand nur aus Höhen.
Ein
Leuchtturm, sagte das Vogelmädchen.
Tokio,
sagte ich.
Saporro,
sagte das Vogelmädchen.
Wir
entwarfen die Orte auf der Landkarte aus dem Blauen heraus.
Niemand
weiß, wie es in Japan aussieht, sagte das Vogelmädchen.
Niemand
weiß, wie es in California aussieht, sagte ich.
Wir
beide schon, wir haben da ein Haus, sagte das Vogelmädchen. Wir
dachten, dass California eine Insel sei wie diese hier, nur dass der
Sand dort nicht im Schlafsack kratzt, und die Sonne früher oder
später aufgeht, so dass man nicht müde sein muss, wenn man den
Sonnenaufgang sieht.
Bei
Sonnenaufgang gingen wir mit Augenringen vom Glashaus zurück in die
Bauernhäuser unserer Eltern, jeder in seines. Zum Abschied umarmten
wir uns und ich zählte die Sekunden. Ich schlich um unser Haus herum
und dann um ihres und schaute von hinten rein in ihr Fenster. Sie
streifte ihren rosa Glitzerrock ab und ihr Top und trug keinen BH.
Sie zog den Vorhang zu und lächelte mich an, dann sah ich nur noch
ihren Schatten.
Morgens
zog ich die Vorhänge zu. Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen.
Das Gebälk des Bauernhauses knarrte. Das Vogelmädchen zwitscherte
nicht, oder nur sehr leise. Manchmal blitzten ihre Zähne auf vom
grünen Licht der Weckerzahlen. Das Gebälk knarrte. Die grünen
Weckerzahlen hatten irgendwann das ganze Licht verbraucht, das sie
den Tag über absorbiert hatten.
Nachmittags
schlichen wir uns an den Rand des Nacktbadestrands und ich hatte
Ringe unter den Augen und das Vogelmädchen hatte einen Feldstecher
dabei. Sie hatte ihn von ihrem Ornithologenvater ausgeliehen. Wir
schlichen durchs Grüne über keinen Weg in Richtung hohes Schilf.
Penis
und Vagina, sagte ich.
Schwanz
und Fotze, sagte das Vogelmädchen.
Wir
lagen im hohen Schilf und als uns langweilig wurde, legten wir uns
erst auf den Rücken und sahen durch den Feldstecher die Wolken. Dann
küsste das Vogelmädchen meine Wange und ich zählte die Sekunden.
Nachts
schlichen wir ins Grüne und von da aus an den Strand und wenn am
Strand keine Batterie mehr da war für den Weißnasenblues, zupfte
ich dem Vogelmädchen ein Lied zurecht. Die Gitarre hatte ich von
meinem Musikervater geliehen.
Gute
Lieder, sagte das Vogelmädchen.
Amerikanische
Lieder, sagte ich.
Handeln
von Bergen, sagte das Vogelmädchen.
Hinter
den Bergen liegt immer California, sagte ich.
Wegen
all der Landschaften fühlten wir uns eingesperrt auf der Insel und
ich spielte ein Lied ohne Landschaften.
Das
ist mies, sagte das Vogelmädchen.
Nein,
sagte ich.
Doch,
sagte das Vogelmädchen.
Das
Vogelmädchen schmiss die ¾-Gitarre ins Meer. Sie versank und
wanderte am Meeresboden die ganze Strecke nach Hokkaido, wo ein
japanisches Kind sie aus dem Wasser fischte und ein Popstar wurde und
nach California zog, direkt in unsere Nachbarschaft. Er hatte ein
Haus ganz aus Stein. Meinem Vater konnte ich seine Gitarre nicht
wiederbringen.
Morgens
lagen wir in unserem Haus aus Glas in California und ein japanischer
Popstar schmiss einen Fisch gegen die Wand. Die Scheibe sprang nicht.
Der Fisch schlierte daran herunter und hinterließ einen langen
Fleck.
Ein
Hai greift uns an, sagte das Vogelmädchen.
Ein
Rochen, sagte ich.
Ein
Killerdelphin, sagte das Vogelmädchen.
Ich
wischte den Fleck weg. Den toten Fisch brachte ich mit. Wir wickelten
ihn in Seetang und kochten Reis mit Essig und tunkten es in Sojasoße
mit Meerrettich und Thousand-Island-Dressing aus der Tube.
Tagsüber
trafen wir uns an der Mauer, die so verwittert war, dass oben drauf
schon hohe Gräser wuchsen. Das Vogelmädchen trug einen kurzen rosa
Glitzerrock. Die weißen Reiherbeine hatte sie gekreuzt und lehnte an
der Mauer. Sie umarmte mich zur Begrüßung und ich zählte die
Sekunden. In ihrem Magen grummelte es.
Hinter
der Mauer ist ein Gutshof, sagte ich.
Ein
Friedhof, sagte das Vogelmädchen.
Einer
für Filmstars, sagte ich.
Vielleicht
auf Honshu, sagte das Vogelmädchen.
Danach
gingen wir am Leuchtturm vorbei ins Vogelschutzgebiet.
Abends
stellte sich der japanische Popstar aus der Nachbarschaft vor und
zeigte mir seine ¾-Gitarre. Vögel waren uns vom Vogelschutzgebiet
gefolgt. Die Gitarre hatte Seepocken, und auf dem Holz waren
Vogelkrallenspuren. Wenn der Popstar sie stimmen wollte, legte er sie
eine Stunde lang ins Wasser.
Ich
bin Halbjapaner, sagte er.
Ich
auch, sagte das Vogelmädchen.
Sein
Name war Pacific Ocean Blues. Sein Haus aus Stein war fast ganz aus
Bässen gebaut. Seine Augen wummerten. Das Vogelmädchen hatte eine
rosa Glitzersonnenbrille auf und den Mund geschlossen. Ich verlangte
meine Gitarre zurück. Pacific Ocean Blues lachte, und ich warf ihm
das Sashimi von gestern in den Mund.
Nachts
ging ich nach Hause. Ich stakste durch den Mischsand Richtung
Vogelschutzgebiet, und verlief mich zwischen dem Gezwitscher. Das
Vogelmädchen zwitscherte auch. Ich erkannte es am Blitzen hinter
ihren Zähnen. Als ich das Bauernhaus wiederfand, war es spät, auch
für alle Vögel. Alle Eltern wollten wissen, wo ich gewesen war. Ich
sagte: Nicht California.
Morgens
war das Durcheinander heillos. Die Eltern des Vogelmädchens
bemerkten, dass sie nicht nach Hause gekommen war von California. Ich
sagte, ich hätte sie gesehen, sie sei an mir vorbei geflogen. Wo sie
angekommen sei, wisse ich nicht, könne es mir aber denken. Alle
Eltern wussten nicht, was sie tun sollten. Ich sagte, das
Vogelmädchen sei davon geflogen, Richtung Westen, von California
nach Hokkaido. Sie fanden sie schließlich am Strand.
In
dem Haus allein hatte ich Angst, sagte das Vogelmädchen.
Und
Pacific Ocean Blues?, sagte ich.
Das
Vogelmädchen sagte nichts, sondern bekam Fieber. Sie hatte Zug
bekommen.
Tagsüber
packten alle ihre Sachen. Das Metall hinter den Zähnen des
Vogelmädchens glühte rot. Sie zitterte vor Kälte, weil ihr heiß
war.
Wir
müssen das Haus aufgeben, sagte ich.
Wir
sollten sowieso umziehen, sagte das Vogelmädchen.
Das
Vogelmädchen zog ihre rosa Glitzermütze auf. Ich schrieb ihr
heimlich noch (3>_<3) auf einen Zettel als Wegzehrung und
steckte ihn in ihren Rucksack. Sie wäre sonst vom Fleisch gefallen.
Im Gebälk des Bauernhauses knarrte es.
Abends
gingen wir zum Hafen und mit Salzwasser zwischen den Zähnen sah ich
zu, wie das Vogelmädchen ein Boot nahm. Sie fuhr Richtung Japan. Ich
schaute ihr noch eine zeitlang nach. Dann nahmen wir ein Schiff. Die
¾-Gitarre hatte ich sicher unter Deck gebracht.
Für
L. Die Zeit danach, und die davor.
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