Mittwoch, 28. November 2012

Tristesse brutale

Verfall eines Traumes. Bild von mir.
"So sehen also Träume aus, wenn sie verfallen. Rostiges Drahtwerk, das aus zerbröckelndem, rohem Beton schaut, Durchgänge, die mit Brettern vernagelt sind, Fahrstühle, die sich nur mühsam auf die höheren Ebenen hochächzen, Etagen, die einfach komplett gesperrt sind, weil im Boden riesige Löcher klaffen, der Weg zur KiTa ein einziger dunkler Gang, den man Kinder und Erwachsene noch nicht einmal am hellen Tag entlang schicken würde. Und über allem das ständige Tropfen von Wasser und das Surren flackernder Neonröhren."
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Hannover ist keine schöne Stadt, zumindest nicht architektonisch, da kann man nichts machen: Alles steht voll von diesen nach dem 2. Weltkrieg schnell hochgezogenen Betobauten, grau, funktional, nach irgendwelchen völlig veralteten Bauidealen konzipiert. Damit ist Hannover nicht alleine.

Das Ihme-Zentrum allerdings ist ein völlig andere Geschichte, eine, die mich immer wieder fasziniert, wenn ich zufällig dran vorbeigehe. Das Ihme-Zentrum ist monumental, wirklich monumental. Es nimmt eine ganze Halbinsel ein, es könnten so viele Menschen darin wohnen wie in einem eigenen Stadtviertel, es hat das größte zusammenhängende Betonfundament Europas. Unter allen Bausünden, die es in Hannover so gibt, war das Ihme-Zentrum die ambitionierteste, und ist dann auch am schlimmsten nach hinten los gegangen: Im Moment verfällt es, die unteren Geschosse stehen leer, jede Investition in die Gebäude ist schief gegangen, jeder Renovierungsversuch war bis jetzt ein Geldgrab, an dem die beteiligten Firmen sich die Zähne ausgebissen haben. 

Das Spannende am Ihme-Zentrum - mal abgesehen davon, dass es ein Lehrstück über die Architektur der 70er Jahre und die Verflechtungen amerikanischer und deutscher Investoren ist - ist, dass es mittlerweile seine eigenen Großstadtmythen produziert. Ständig verschwinden dort Menschen, es gibt Spekulationen über eine überflutete U-Bahn Station irgendwo in den Kellereingeweiden des Gebäudes, in einem der Türme ist angeblich ein nie in Betrieb genommenes Schwimmbad. Langsam aber sicher bewegt sich das Ihme-Zentrum in Richtung Lovecraft. 

Und weil ich Lovecraft, monumentale Dinge und Ruinen mag, bin ich eines Tages mit meiner Kamera losgezogen, habe eine Ortsbegehung gemacht, ein bisschen recherchiert und eine Reportage inklusive schicker Fotostrecke darüber gemacht. Die verlinkte Reportage ist zwar zwei Jahre alt, aber es hat sich an den Zuständen dort nichts großartig verändert. Nach wie vor passiert nichts, nach wie vor gibt es keine Investoren und kaum Pläne, das Ihme-Zentrum in naher Zukunft wieder etwas bewohnbarer zu machen. Es gibt Ideen, das schon, immer wieder neue, aber es passiert nichts.

Noch zwei interessante Seitenarme der Sache: Einen Tag nachdem die Reportage erschien, rief mich Pressesprecherin der Landesbank Berlin an, die im Moment Hauptgläubiger der Unternehmen ist, die sich am Ihme-Zentrum die Zähne ausgebissen haben, und wollte ein paar Fakten richtig stellen. In der ersten Version des Artikels hatte ich leicht missverstanden, was genau ein Insolvenzverwalter eigentlich tut, aber, zu meiner Verteidigung: Das ist nicht mein Fachgebiet, und außerdem ist es kompliziert. Nachdem die Pressesprecherin mir eine halbe Stunde lang Insolvenzrecht erklärte, müsste es jetzt aber stimmen. 

Und: Zur verlinkten Reportage gibt es noch eine Prosaversion, die unter dem Titel "Unter den Türmen hinter der Stadt" im März 2012 in der Bella Triste Nr. 32 erschienen ist [Ich werde sie in den nächsten Wochen auch hier ins Blog stellen].


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