Sonntag, 25. November 2012

Reise


Es ist so, dass ich im Jahr 2006 den Maxi-Literaturpreis gewonnen habe, gesponsert war das Ganze von Tchibo, und der Preis war eine vierwöchige Reise durch Tanzania und Kenia, inklusive Journalistenworkshop mit Andreas Altmann auf Sansibar. 
Wir waren zu dritt: Ich, Myriam und Sarah, und unser Programm war eiskalt durchgeplant: Wir mussten Kaffeeplantagen besichtigen, wir mussten auf Safaris gehen, wir wurden mit Koch und Fahrer durch die Gegend kutschiert, und die erste Woche hatten wir auch noch einen Fotografen und eine Frau von der Werbeangentur dabei, die das alles organisiert hatte
Das klingt schrecklicher, als es war, eigentlich war es mit eine der schönsten Reisen, die ich je gemacht habe, und das lag allein an der Begleitung: Wir alle, der Fotograf, Edgar, die Werbeagenturfrau, Jana, und vor allem Sarah und Myriam, wir alle sind sehr zusammengewachsen, haben viel miteinander erlebt, und als das alles vorbei war, als wir uns dann auf dem Flughafen von Amsterdam verabschiedeten, waren wir alle kurz vorm Heulen. 

Ich habe damals ein Reisetagebuch geschrieben, lose Notizen, für mich, die ich jetzt im Zuge dieses Archivprojekts wiedergefunden habe. Ich habe sie einfach mal chronologisch abgetippt, ohne Überschrift, ohne Einordnung, ohne Sortierung.
Ich finde sie zu schön, um sie in der Schublade zu lassen, und ich bin beim Wiederlesen tatsächlich auch ein bisschen wehmütig geworden. Und wollte sofort wieder weg aus diesem kalten, viel zu leisen Deutschland.







Chasing Waterfalls. Foto von mir.
In wie vielen Ländern bin ich schon angekommen, die Finger zerknibbelt, auf der Suche nach  fremden und exotischen Raucherzonen? Eine andere liebgewonnene Gewohnheit ist der Warteespresso, und der Ankommepresso. Vor dem Flug, nach dem Flug: Die Gedanken sortieren, mich selbst verlangsamen. Ich beginne, die Ankunft zu realisieren. Ja, wir werden tatsächlich irgendwo ankommen, deshalb fliegen wir ja, während Amsterdam unter uns leuchtet wie eine gigantische Weihnachtshow. Ich fliege nicht einfach nur: Ich reise.

Der Mann neben mir im Flugzeug: Er betrachtet sein Foto im Pass und sich selbst im Spiegel und das Ziel auf der Karte. Genug zurückgelegte Zeit, um sich zu vergewissern, dass sie anstrengend war und befriedigend. Kein halbes Leben. Das wäre unmenschlich. 


Über Nairobi liegt eine Wolkendecke und das schwedische Paar neben mir füllt eifrig die Einreisekärtchen aus. Nicht so groß wie die für die USA und nicht so schwachsinnig (Transportieren Sie größere Mengen an illegalen Drogen? Werden Sie wegen eines Vergehens vom FBI gesucht? Multiple Choice Antworten. Bitte ja oder nein ankreuzen.)

Wir kommen an im Morgengrauen. Unter uns verschlungene, braun-graue Berge, dazwischen rote Flecken, als ob das Land Röteln hätte.

Den Müdigkeitsflash nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sonnenbrille und wartend auf einem tropischen Flughafen, die Temperaturen absurd hoch und feucht und vor dem Fenster dieses Buschland, grün und braun.

Wir fliegen mit einem Seelenverkäufer von Flugzeug vorbei am Killimanjaro. Es liegt tatsächlich Schnee. Das wäre der beste Zeitpunkt, abzustürzen. Das wäre eine wunderbarer Tod. Ich trinke Fanta, während ich das denke. Sie schmeckt hier anders als in Europa, süßer.

Jetzt verstehe ich, warum in der gesamten Tropenliteratur der Deckenventilator eine so große Rolle spielt. In der Hitze ist er das einzige, was sich bewegt, das einzige, was hin und wieder Ablenkung verschafft und wenigstens den Versuch kühler Luft wagt. Ich könnte in solchen Räumen Romane schreiben, heiß, feucht, dunkel, verschwitzt, halbnackt und nur die Gedanken wälzen sich hin und her.

Ein absurdes kleines Paradies, in das sie uns hier gesteckt haben. Der Strand wir arrangiert für ein Werbefoto, dabei aber zwischen all der Palmenromantik die Realität nicht vergessen und deshalb noch schnell ein paar verrostete Schiffe hinzugefügt. Einfach, damit man es auch glauben kann. 
Ich glaube hier gar nichts. Nicht die Palmen am Strand, nicht die Schwarzen, die mit Dhows übers Meer fahren, ich glaube dem Markttreiben nicht, , nein, ich glaube gar nichts. Ständig erwarte ich eine Tür zu finden, die aus dem Afrika-Themenpark hinausführt in etwas, das realistischer ist als diese Postkarte.

Nicht vergessen: Das Geschrei der badenden Kinder. Der Himmel, an dem die Sonne nicht strahlt, sondern im Zenit verglüht als ginge sie morgen nicht mehr auf. Die badenden Muslima, peinlich bedacht, nichts zu entblößen, keinen Fetzen Haut. Die Boote mit orangenen Dächern und Namen wie „Jambo“ und „Mr. Bean“. Der Junge im Bayern München Trikot: Nr. 10. Ballack.

Jeden Abend um 19 Uhr kommt die Antimückentaskforce: Scherzende Frauen, die das Zimmer mit Mückenmittel vernebeln und die Moskitonetze herunterlassen.

Abends führt uns der Typ in eine Kneipe. You want beer? Yes, we want. Die erste ist eine leere Lagerhalle. Every Saturday: Reggae night! Heute aber nicht, heute nur heruntergekommen, es stinkt ein wenig und ist dunkel. Vornedran verkauft jemand Souvenirs.  Er führt uns weiter, eine Seitengasse , und das Bier ist kühl, heisst Killimanjaro und er bekommt auch eines.

Wir sitzen am Strand von Sansibar und erzählen von vergangenen Lieben, von den Enttäuschungen. Das passiert wirklich.

Die Klimaanlage röhrt, rotiert in die Hitze hinein, völlig sinnlos, weil wir sie nicht spüren, unter unseren Antimückenbaldachinen steht die Luft wie überall hier: Fast schon im Rückwärtsgang.

Myri ist gegangen, zum Strand, hat ihre Lampe auf den Kopf geschnallt jetzt sitzt sie da, schreibt im Angesicht des Indischen Ozeans, das muss an erst mal schaffen. 

Aimee Mann auf dem mp3 Player in den Tropen. Und mein schweißgetränktes Kopfkissen.

Der Muezzin reisst mich aus dem Schlaf. Es ist fünf oder sechs. Ich verstehe die Worte nicht. Ich kenne die Botschaft der hellen Stimme, die sich in meinen Schlaf singt. Allah ist groß, Allah ist mächtig und Mohammed sein Prophet, verschlafen begreife ich das, weiß nur nicht, was ich damit anfangen soll. Ich weiß erst nicht, wo ich bin.

Ein vollklimatisierter Raum, in den ein Junge Kaffe bringt in silbernen Kannen. Ein Klischee, aber eher eines aus 1001 Nacht. Zigaretten dürfen auf dem Tisch nicht liegen, nicht zum Fototermin: Das soll nicht in Maxi.

Unter den Jaccaranda-Fächern sitzen Geier im Schatten. In fremden Ländern verstehe ich die Werbung nie, deshalb kommen sie mir so fremdartig vor. Mit allem anderen kann ich leben, fremdartige Riten, Verhaltensweisen die ich nicht nachvollziehen kann, es sind ja schliesslich nur Menschen, die sind überall anders und merkwürdig, aber wenn ich nicht weiß, welcher Handyanbieter da wirbt, fühle ich mich weit weg von zuhause.

Am Straßenrand Bäume mit gelben Blüten, roten Blüten, lila Blüten, blauen Blüten. In die Landschaft sind Hütten gesetzt, Lehm, die Decke aus Palmwedeln. Überall Mais, Bananen und Kaffeefelder. Die Regensaison ist gerade vorbei, alles ist grün. Wir fahren durch Wolken weißer Schmetterlinge, es gibt mehr davon, als jemals an die Windschutzschreiben klatschen könnten. 

Tchibo sponsort die Reise, wir besuchen eine Kaffeeplantage: Ein energisch aussehender Schwarzer redet vom perfect cup of coffee, ein Braumeister: Er wirkt entschlossen, wenn er die Rede auswendig gelernt hat, ist er ein guter Schauspieler. 

Die Straßen vor dem Krater sind nass, Baobabs am Straßenrand in einer grünen Urwaldatmosphäre. Es gibt Lianen. 

Das Camp hat eine gemütliche Plastiklounge mit Sunshine Reggae. Der Fernseher läuft, das Bier und die Zigaretten heißen Safari und im Fernsehen Infotainment. Plastikstühle. Roter Boden. Leer. Einziges Geräusch: Der Fernseher, dessen Swaheli-Gebrabbel durch den Raum fegt. Sarah redet mit unserem Fahrer, Omari. Herumphilosophieren auf Englisch vermischt sich mit dem Gezirpe der Grillen draußen, vermischt sich mit dem Fernseher, vermischt sich mit der Müdigkeit.

Die Zelte abbauen. Es klappert, rauchen und durch die Gegend laufen, es gibt helllila Blumen, eine Dosis Sonnencreme für die Weißnasen, wir wollen los, beim Abendessen Amarula, Omari will uns Amarulabäume zeigen. Es gibt roten Lehmboden hier, und eine aufregende Tierwelt im Klo, Kakerlaken, Fliegen, Spinnen, Motten mit rotglühenden Augen, Omari lachte und sagte, die tun nichts während Sarah behauptete, ihr wäre eines ins Gesicht geflogen, aus voller Absicht. Edgar fotografiert, er sagt, ich soll was schreiben, in mein Notizbuch, und das ewige Klacken des Apparates klingt in meinen Ohren wie ein Elefantengewehr.

Serpentinen am Rande eines grünen Tales. Genesisland. Klingt wie Themenpark. 

Wir tun alles um uns aus der Touristenhonigfalle zu befreien. Omari versucht uns das Land zu erklären. Wir versuchen es zu verstehen, spielen mit den Kinder Hula-Hoop auf der Straße, mit einem alten Reifen. Die Massai haben hier Weiderechte und treiben ihre Ziegen und Kühe durch die Gegend. Sie tragen bunte Tücher in rot, manchmal auch blau, bestimmt machen die unterschiedlichen Farben einen Sinn. Auf einem Feld steht eine Frau, einsam und schwingt eine Hacke.

Die Bar ist mit Palmwedeln gedeckt und ausgekleidet. Das Bier heißt Safari oder Serengeti. Der Billardtisch ist rot. Würde man spielen, man müsste über Insekten spielen. Es gibt weder Queues noch Kugeln. 

Einschlafen mit Wetterleuchten im Hintergrund und dem unglaublichen Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre über uns, die Milchstraße ein helles Band am Himmel. Kein Mond und kein Donner, nur das Flackern von weit entfernten Blitzen und dem Fotografen ragt die Zahnbürste aus der Hosentasche. Er schleppt zwei Riesentaschen mit Objektiven, Fotoapparaten, Laptop und anderem Krimskrams mit sich rum, ich bekomme mein Schreibzeug zur Not auch in die Hosentasche. Morgens um fünf geht es los, sind die Köche unterwegs, brechen die Overlander auf in ihrem riesigen Lastwagen, 20 afrikanische Länder in 20 Tagen oder so, nur mit sich und der Gruppe, eine lange Zeit, perfekt ausgerüstet mit Klapptischen und gestern abend hatten sie Sekt, andere Safaritouris hatten weiße Handschuhe an, und Safarihüte, wunderbarer Moment: sobald ein Löwe gesichtet wird, ist er umzingelt von Touriwagen. Die armen Löwen. Und Japaner, die Löwen ansehen.

Die Massai starren uns verwundert an, wir machen Fotos, merkwürdige Fotos, Fotos von sich sind sie gewohnt, kosten 5 Dollar das Stück, aber Edgar interessiert sich nicht für die Massai, fotografiert uns, Arschloch, sagt er, und zieht sich eine zentimeterlange Dorne aus dem Fuß. Die Dornenbüsche, sagt er, werden gerne auch mal ausgelegt, um Elefanten abzuhalten, besser als Natodraht ist das Zeug. Die Massaikrieger debattieren mit Omari. Einer versucht, mir einen Speer zu verkaufen, anderthalb Meter und spitz an beiden Enden. Ich möchte den eigentlich gerne haben, aber ich vermute, dass ich ihn nicht mit ins Flugzeug bekomme. Heute morgen spielte uns einer der Köche auf seinem Ipod irgendeine tanzanische Raggaband vor. 

Eine Genugtuung, die mir gut bekommt. Nachdem Edgar uns vor einer Kulisse fotografiert hat, die nur annähernd afrikanisch aussah, biegen wir um eine Ecke und sehen eine Ebene mit Umbrella-Bäumen und einem Massaidorf wie aus dem Afrika-Themenpark. Omari lässt uns nicht mehr aussteigen, er ist beleidigt, weil wir nicht pünktlich in der Serengeti sind. Lache innerlich. Die Ebene ist nur für uns, nicht für die Maxi, while my guitar gently weeps.

Der Wind ist sanft. Es riecht nach einer endlosen Grasweite, sanfter Geruch, sanfter Wind, nichts auf dieser Ebene, an dem sich das Auge festhalten könnte, die Gedanken werden flacher, weiter, entspannter, nur ein sanftgeschwungener Hügel im Hintergrund, kaum zwanzig Meter hoch, die altersweisen Überreste eines uralten Gebirges, vor denen endlos langsam eine Giraffe vorbeiläuft. Eine Hyäne drückt sich verschämt im Vordergrund herum.

Der Stein auf dem wir liegen ist warm vom Tag. Der Aussichtspunkt in einer Lodge, die in eine von diesen abgerundeten Felslandschaften reingebaut ist. Wir machen Pause vom Camping und trinken Kaffee. Affen und Tiere namens Klipschliefers, so was wie Eichörnchen, nur offensichtlich zu faul für Bäume. Auf dem Stein laufen Geckos, die Körper dicht an die Wärme gepresst. Ich möchte als Gecko wiedergeboren werden. 

Jana schminkt sich neben einem 5000-Liter-Wassertank, vor dem ein siffiger Abfluss ist. Neben ihr macht Sharif, unser Koch, seine Töpfe  sauber. Noch nie hat ein Schminkspiegel so fehl am Platz ausgesehen.

Tiere. Safari. Impalas, Hippos, Wildebeest, Giraffen. Jaja. Am morgen erzählt jeder die Geschichte vom Löwen, der nachts im Camp war. Es gewinnt, wer am dichtesten dran war. Omari gewinnt. Er sagt, dass der Löwe sich durch das Zelt durch auf sein Bein gelegt hat. Sarah liest Myriam schläft. Weckt mich, wenn was interessantes passiert, sagt sie. Sonntag heute. Edgar fotografiert nicht.

Zwei interessante Tierentdeckungen: Die Riesenspinnen, die in der Esshütte in der Decke wohnen und die Milliarden fliegen, die meinen Hintern umschwirren, als ich versuche zu Scheißen. Auf dem Klo, also dem Loch im Boden, zum Nachkippen: White Rhino Desinfectant. Super Marke.

Vor dem Regen. Lange kündigt sich ein Gewitter in dieser endlosen Graslandschaft an. Es wird drückend, die Gerüche intensiver, aber nicht unangehm, die Luft verspricht, dass sie bald kühler wird, das Donnergrollen, Kilometer entfernt wird uns kühlen. Dann werden wir im Regen tanzen. Die Tiere, die Vögel die Grillen sind lauter als sonst. 

Die anderen Tiere, die, die wir aus dem Safariauto heraus entdecken, sind hygienisch, sie betreffen uns nicht: Als würde man eine Liste abhaken: Ja, ok, Leopard. Das sind nicht die spannenden Tiere. Die spannenden Tiere nerven uns nachts, weil sie in unsere Laterne fliegen.

Can you sit in the back an hold the girafe? Touristengeplapper.

Ein Laden namens „Double M“ , draußen, Plastikstühle, Tiere fliegen mir gegen den Rücken. Ziemlich groß. Traue mich nicht, mich umzudrehen.  Serengeti-Bier mit Verpackung in Leopardenoptik. Omari empiehlt ein Getränk namens Konyagi, das ein wenig nach Gin schmeckt. Eines von diesen Getränken, die sich nach dem ersten Glas anfühlen, als hätte man es schon drei Tage getrunken. Der Stromausfall stört niemanden, es werden routiniert Kerzen aufgestellt, oder im Dunkeln weitergetrunken. Abends regnet es. Zuwenig Regen, nur eine Ahnung von prasselndem Tropenregen. Aber warm. Konyagi ist ein Teufelszeug.  Muss ich was von mitnehmen.

Auf der Straße werde ich weniger angesprochen als die beiden Mädels. Das gibt Gelegenheit zum Beobachten. Fragt sich nur, was. Sarah liest Texte über die Massai, sie hat sich die tatsächlich aus der Unibib in Münster mitgenommen. Das interessiert mich nicht. Ich werde die Leute hier nie verstehen, ich kann nur Atmosphäre aufsaugen. Vielleicht bekomme ich dann eine Ahnung vom Land. 

Edgar castet für das Abschiedsfoto Komparsen. Wir stehen vorm Scorpions-Club, ein ranziger Pub, aber mit Fernseher. Slogan: Simply the best.
Die Leute hier mögen Arsenal, wegen der komplett schwarzen Abwehr, sagen sie. Fussball lernen, bevor ich wieder in ein Dritt- oder Zweitweltland fahre. Darüber kann man sich mit den Leuten immer unterhalten. 

Ein paar der Leute hier, behauptet unser neuer Fahrer, sprenkeln Ziegenmilch, die erste des Tages auf einen Stein, der in der Dorfmitte steht. Dabei richten sie sich Richtung Berg. Dann frühstücken sie.
Wir dürfen einen solchen Stein sehen, in einem Dorf am Wegrand. Vor einer Hütte sitzt ein alter Mann, der mit einem Taschenmesser spielt, neben ihm zwei jüngere Männer mit Speeren. Hier in der Gegend tragen sie blau. Der alte Mann hat eine riesige Uhr am Handgelenk, kaum Zähne und unglaublich große Ohrringe. Er begrüßt uns freundlich. Der Stein in der Dorfmitte ist klein, unscheinbar. Myriam tritt fast darauf. Der Stein ist sauber. Das Dorf riecht nach Ziegendreck. 

Die Grenzübergang von Namanga, zwischen Tanzania und Kenia, ist ein Handelsplatz: Holzgiraffen 5 Dollar, Ketten zwei für zehn, Visum für Kenia 50 Dollar. Eine Massai greift unter ihrem Tuch in Richtung ihrer Brüste, die schwarz aufblitzen und zieht Armreifen hervor. Dieselben, von denen ein Verkäufer auf Sansibar sagte, sie wären aus Elefantenhaar. Er bewies das, indem er einen davon anzündete, der dann nach verbranntem Haar roch. 

Die kenianischen Straßen sind besser. Man kann während des Fahrens schlafen. Das endlose Fahren in diesen Safari-Minibussen ist unsere zweite Heimat geworden, wir werden durchgeschüttelt mit offenen Fenster. Ich mache die Fenster immer auf, ich will das Land riechen, durch das wir fahren. Die Landschaft ändert sich. Gestern das grüne Tansania, einzelne Berge verschwommen im Hintergrund, die Luft war feuchter. Heute ist alles braun, trockener, heisser. Keine Tropenfeuchtigkeit mehr, das vermisse ich. 
Kenia ist europäischer, es gibt landeseigene Frauenzeitschriften, Supermärkte, Neonschilder, Musik: Die Städte riechen überall ähnlich.

Das Jaccaranda Hotel ist posh, so geleckt, dass die Angestellten, Wachmänner, Putzleute, Poolbedienstete, erst einmal verunsichert sind, wenn man sie anspricht, also überhaupt erst mal wahrnimmt.

Nebenan, für abends: Pizza Garden, wo Africa Live Music Night ist, müdes Elektrogeklimper, Swahelitexte bisschen was mit Reggae und Arabisch und Ethno. Frage mich, ob man so etwas hier tatsächlich hört. Weiße und Schwarze Männer sitzen an Tischen und lassen sich von den Nutten erzählen, dass sie schön sind, und werden an die Oberschenkel gefasst.

An den Bussen stehen vorne die Slogans und hinten ein lässiger Spruch.

Unterschied, wenn man hier Europäer trifft. Die herkömmlichen Verhaltensregeln, Franzosen, das Gespräch kommt mir unterkühlt vor, und ist doch nur europäischer Standard, im Gegensatz zu den Gesprächen, die wir mit Omari und Sharif geführt haben. Vertraute Kälte.

Erinnern: Der Kontrast von Palmwedeln und Sternen.

Eine Wüste, eine Halbwüste, mit Fluss, an dessen Ufer wir sitzen, ein Krokodil trieb gerade nonchalant vorbei, kaum zu glauben. Jimi sagt, wir bräuchten keine Angst haben, sie würden zur Touristenbelustigung ein paar hundert Meter weiter in einer Lodge gefüttert. Wenn sie so den Fluss entlangtrieben, seien sie entweder tot oder satt.  Eine Baboonherde zieht vorüber, Richtung Müllkippe neben dem Klo, die mögen sie gerne, Vögel duschen in der Dusche, daneben das altbekannte Kloloch mit der Variation: Kloschüssel aus Holz geschnitzt, nur leider so groß, dass man sich unmöglich drauf setzen kann, wenn man seine Beine noch in der Klokabine unterbringen möchte. Chillout in Samburu, und Jimi liest in O!, der Frauenzeitschrift von Oprah Winfrey.

Sitzen. Gedanken unter Palmen am Fluss sortieren.

Japaner, die Alligatoren anschauen. Hier dieses Land lieben ist einfach. Ruhig, schön, Natur. Woanders ist es sperriger. Man muss mit Armut klarkommen, Fremdheit, Hässlichkeit, mit seiner eigenen weißen Haut.

Mehrköpfige Sonnenblumen am Straßenrand. Dabei haben wir Februar. Überall grasende Esel, Ziegen, Kühe, ein paar Hühner. Ein Eselskarren ohne Besitzer zieht vorbei.

Es gab einmal ein Mädchen, das machte tagsüber aus Ketten aus Kauri-Muscheln und weinte nachts. Die Ketten verkaufte sie an Touristen, damit sie noch ein paar Tage länger am Strand bleiben konnte und Ketten machen. Die Muscheln, sagte sie mir, haben einen Schlitz in der Mitte, und man sagt, sie sehen aus wie weibliche Geschlechtsteile. Die Straßenverkäufer haben größere im Angebot, es gibt einen Witz, den sie oft machen, wenn sie welche verkaufen wollen: Sie stecken ihre Zunge in den Schlitz.

Die Häuser sind mit Werbung bemalt: Everready-Batterien, Supermatch-Zigaretten, irgendein Stift, der eine neue technische Errungenschaft enthält. Die Werbungen machen die Häuser, das Straßenbild bunt. Farmer’s choice meat sausages: „It’s a great day for sausages“

Eine Gegend, die leicht hügelig ist, mit Tannenschonungen: Oberbayern. Nur die Arbeiter sind schwarz, nicht aus Polen. 

Ich habe den Stuhl gefunden, in dem ich sitzen möchte, wenn ich sterbe. Neben mir eine Reifenschaukel und ein Jaccaranda-Baum, mit Blick auf einige Gazellen und Zebras, ein paar Büffel, und im Hintergrund vermute ich Millionen Flamingos.

Unterhaltungen, die sein müssen: Über vergangene Reisen. Ein Jahr in Kairo, Myriam hält sechs Monate Südostasien dagegen. Kaum zu glauben, dass dieses kleine, blonde Mädchen einen Monat Kambodscha geschafft hat. Es ließe sich arbeiten als Englischlehrer in Vietnam, frage nach Adressen. Von vergangenen Reisen lässt es sich in vergangene Lieben gleiten, das geht reibungslos und von da aus wieder nach Deutschland und zurück.

Sarah ist fasziniert von bewegten Bildern. Sie starrt auf den Fernseher,  als hätten wir so ein Ding seit Jahren nicht gesehen. Eine Comedy-Seifenoper, produziert für den afrikanischen Markt, mit eingespielten Lachern. Danach: Bongo Star Search. Bekanntes Konzept, fragt sich nur, wo sie das Bongo her haben. Es dürfen auch die ausgeschiedenen Kandidaten singen, aber Background für die, die noch im Rennen sind. Viel mehr Party auf dem Bildschirm als bei uns.

Ich spiele Gitarre. Halbvergessene Songfetzen, glücklich, eine Gitarre zu haben, meine vermisse ich, die anderen schreiben. Lege Texte auf irgendwelche Kadenzen: under the stars of africa/ we are creating memories/ to keep uns warm in winter nights. Draußen die Büffel, ich versuche, Magie in den Moment zu legen, etwas schönes: Ich will, dass die Mädchen sich erinnern. I am creating memories, völlig uneigennützig.

Die Gitarre stammt von Engländern, die Kenya Cane mit Cola mischen und behaupten, es wäre ein kenianisches Getränk. Sie drehten mir einen an, schmeckt wie ein besonders schrecklicher Rum-Cola. Eine Frau meinte, der Typ wäre ein Blödmann, es sei kein kenianisches Getränk, und ich soll doch noch mal Hit the road Jack spielen, das ist die Gebühr für die Gitarre, für eine Gruppe, die ihre eigenen Trinkgewohnheiten mit einer Tradition rechtfertigt, die sich ausgedacht haben.

Myriam macht wieder Ketten. 

Landstraße, ein einziges Geruckel aus Schlaglöchern und Staub, die Pflanzen am Straßenrand sind staubbedeckt, aus dem Schlaf wird man immer wieder von den Löchern gerissen, ich mache das Fenster auf, damit es drinnen nicht so heiß ist, ich schließe das Fenster, damit der Staub nicht reinwirbelt, und zwischendrin rauche ich. So kann man einen Tag auch verbringen. Ich weiß jetzt, wie sich Menschen fühlen mussten, die tagelang in Postkutschen auf schlechten Straßen durch die Gegend gefahren sind. Andererseits gehören wir wahrscheinlich zu den wenigen auserwählten, die auf voller Lautstärke „Don’t stop till you get enough“ hören und durch die Masai mara brettern, keine Rücksicht auf Kuhherden oder Ziegen: Man muss schnell fahren, sagt Jimi, dann flöge man über die Schlaglöcher.

Ich beginne an das Ende zu denken, während ich zerstochen von Moskitos und ohne Sonnencreme in der Äquatorsonne sitze. Die Sterne, die gestern wieder unglaublich waren, und nicht so viel Insekten. Wir saßen im schmalen Schein der Gaslaterne während um uns herum mindestens drei Massai patroullierten, die uns mit ihren Knüppeln, Speeren und Messern vor wilden Tieren schützen sollten, Ziegen, Elefanten, wasweissich. Jimi und sein Kumpel kamen gegen 11 gut gelaunt aus der Stadt zurück. Die Zigaretten gehen aus. 

Man zeigt uns klassische Eingeborenenskills: Tanzen, Singen, dreckige Lehmhütten, kaufbares Kunsthandwerk, traditionell aus Taiwan-Plastik angefertigt. What animal do you like? Wie oft habe ich die Frage schon gehört. Das Dorf zeigt man uns im Schnelldurchlauf: Totenkult, weibliche Beschneidung, ja, aber ist alles auf dem Wege der Besserung, schwer, Tradition wegzubekommen. Das Dorf ist um einen großen Platz gebaut, der voller Plastikmüll ist und nach Kuhscheisse stinkt, weil nachts die Kühe drinnen gehalten werden, der Löwen wegen. Traditionell und modern gekleidete Menschen laufen herum, stören sich wenig an uns, wollen uns das Zeug verkaufen, an dem sie ein Feuer angezündet haben. Nachdem wir durchgeschleust sind: Das Souvenirdorf nebendran. Verkauf wird hier mit Manndeckung gespielt: Mir folgen drei Verkäufer, die sich erst außer Sichtweite halten, als ich ihnen sage, dass ich nichts kaufe, wenn sie mich ständig anlabern. Den Rückzug treten wir zusammen mit einem Führer an, der einen Speer trägt und die entspannten Lachfalten eine buddhistischen Mönches hat. Er zieht immer um das Camp, oder sitzt immer irgendwo auf einem Stein: ständig im Hintergrund, der Mann, ich weiß nicht, ob er eine Aufgabe hat. 

Eine ganz normale Siedlung, in der sich die Verkäufer in Grenzen halten und in dem unser Führer jeden kennt: Alleine dürfen wir uns keinen Zentimeter bewegen. Wir laufen anderthalb Kilometer durch Ziegenherden, ein alter Mann beobachtet uns dabei, wie wir den Fluß überqueren und lacht. Das Dorf besteht aus Kneipen und Schlachtern, und einer Näherin, und sonstigen Läden. Jeder verkauft irgendetwas an irgendjemand anderen. Namen der Läden: Barbeque Butchery, Freedom Grocery, Moses’ Shop, Multi Purpose Shop, Rock Jazz Pub, daneben etwas, das Hard Rock Café heißt und bestimmt nicht lizensiert ist. Es sind angeranzte Bauten, die meistens noch nicht einmal eine Tür haben, geschweige denn ein zweites Stockwerk. Unser Führer quatscht mit jedem, eine Traube aus Bekannten sammelt sich um uns, Kinder wollen uns die Hände schütteln, unser Führer streicht ihnen über die kahlrasierten Köpfe, und noch eine Cola im Mountain View, sitzend auf einer schiefgezimmerten Bank. Immerhin: Ein Berg ist zu sehen.

Alle paar Kilometer ein schattiger Baum, unter dem man den Tag verbringen könnte. Massai sind schöne Menschen: Klar definierte Muskeln und begabte Herumlungerer. The green hills of africa, in denen Wind und vereinzelte Zebras spielen. Die Stahlgerippe liegengebliebener Lastwagen am Straßenrand und die gemalte Werbung an den Häusern.

Gestern tranken wir ein Tusker auf die Freiheit: Der erste Augenblick ohne Fotograf oder Fahrer. Wir sind allein unterwegs in diesem romantisch chaotischen Land, in Nairobi, die Stadt riecht wie Marseille, aber die Straßen sind sauberer. Unsere Hotelzimmerpreise sind gesunken, von bezahlten 120 Dollar pro Nacht auf umgerechnet um die fünf Euro pro Person, mitten im Stadtzentrum, weitgehend kakerlakenfrei, wenn der Koch den Müll rausbringt, singt er, die Stimme schallt den Innenhof hoch bis zu uns, im Stadtzentrum bewegen sich nur schwarze und ich fühle mich beschämend weiß, auch jetzt, nachdem ich es geschafft habe, in einem Laden für Schuluniformen ein blaues Hemd zu kaufen, das mir passt.

Auf der Straße schreien die Matatu-Fahrer die Namen von unbekannten Orten in die Menge, aus den Busse dröhnt Hip-Hop und R n B, nachts werden die Busse zu Partymobilen, fette Bässe, die Außenbeleuchtung geht an, flackernde, bunte Lichter, es fehlt ein Stroboskop: Pimp my matatu. 

Wir gehen ins Florida, Porno-Disco, sagt Sarah, die Form eines Ufos, rote Lichter, die an den Wänden hin und her flackern, rote Plüschsitzecken, wir trinken Campari und Martini Bianco. Viele schwarze Frauen. Most of them are prostitutes, sagt Edward, der sic zu uns gesetzt hat, but I like the music.  Die Nutten brezeln sich in der Toilette auf, erzählen die Mädchen, eine grüßt Myriam. Weiße Männer auf der Tanzfläche, dick und schwammig, die ihre Hände an hübschen, schwarzen Frauen entlang wandern lassen, neben uns betätigt sich ein älterer Mann als Zuhälter und vermittelt Frauen an englische Touristen, die es eigentlich nicht nötig hätten. Muss man nicht glücklich sein, um zu tanzen?, sagt Sarah und schaut auf die Tanzfläche. Als wir gehen, sammelt sich eine Gruppe Taxifahrer um uns, dann zwei Polizisten mit Maschinengewehren, die uns nach Hause eskortieren wollen. Die Standardpolizeiwaffe hier, lese ich in einer Zeitung, ist die AK 47.

Eine alte Frau verflucht Sarah und mich. Wir wollen ihr kein Geld geben, also spuckt sie aus, klopft mit ihrem Stock dreimal auf den Boden und zeichnet  damit  ein Muster in die Luft. Als müsste man daran glauben, sind heute sämtliche Sehenswürdigkeiten, die wir uns ansehen wollen geschlossen, das Museum, der Hindu-Tempel, und im Asiatenviertel gibt es keine Restaurants, obwohl wir eine Suppe wollten. Wir wollten einen Markt namens Village Market finden, dachten an einen Dorfmarkt, es fing vielversprechend an, als wir aus dem Bus stiegen, war da ein Mann, der uns lebende Hühner verkaufen wollte,  aber der war der einzige, und wir stellten fest: es handelt sich um eine Mall mit Kino, Schwimmbad und Springbrunneninstallation, in der wir Espresso und Cappucino trinken: Ein Fluchtpunkt für Besserverdienende, denen es Spaß macht, hinter Security zu sitzen, hinter Glasscherben, die auf die Mauer geklebt sind, hinter Natodraht und Wasser plätschern zu hören aus künstlich angelegten Wasserspielen. Die Schwarzen sind genauso schuld wie die Weißen. Im Diplomatenviertel noch die Deutsche Schule. Das altbekannte Prinzip der sich einschließenden Elite. Merkwürdig, hier Schüler zu sehen, die aussehen wie deutsche Schüler. 

Vorbildlicher öffentlicher Nahverkehr: Nie wartet man länger als zwei Minuten auf einen Bus, Haltestellen sind tatsächlich überall, einfach winken, der Preis ist Verhandlungssache, aber billig, und man kommt immer in die Nähe von etwas, wo man eigentlich hinwill. Im Notfall ist auch das Verhandlungssache. Die Fahrt ist ruckelig, aber schnell, mit etwas Glück gibt es Discolicht und R’n’B. Mysteriöserweise wissen die Einheimischen, wo der Bus hinfährt. Wir müssen nachfragen.  Die Logik, dass größere Busse teuerer sind verstehe ich nicht.

In unserer Absteige trinken wir Safari-Wodka und rauchen Sportsman. Myriam liest die Ausschreibung aus der Maxi vor. Sarah wirft sich auf ihr Bett, lacht und schreit: Ich bin eine Jungautorin.

Der Inder in dem hygienischen Laden und die Sauberes-und-gutes-Essen-Anekdote, ein Beschiss, den er mit der gesamtwirtschaftlichen Lage und den gestiegenen Preisen für Gott und die Welt erklärt. Bin selten so eloquent verarscht worden. Die Essenz wäre: die wirtschaftliche Lage macht es notwendig, nicht nur notwendig, unabdingbar, dass ich überhöhte Preise nehme. Das geht gar nicht anders. Das ließe sich so vermutlich unterschreiben. Der Mann arbeitet für sein Geld. Das ist  im Friend’s Corner, 24 Stunden Busbahnhofskneipe, kauen die Leute merkwürdige Stengel. Kat, oder Mirah, sagt uns Daniel, wenn man genug kaut, wird man davon high. Nicht illegal. Wer es kaut, sieht merkwürdig abwesend aus, starrt stundenlang in die offene Cola. Ein Ort zum Warten, wie wir anderthalb Stunden auf unser Essen gewartet haben.

Kurz bevor wir nach Mombasa müssen: Wir stoßen auf einen Haufen bunt zusammengewürfelter Menschen, einen Profifußballer aus Costa Rica, der die Hälfte der Nationalmannschaft kennt, ein Sänger aus dem Kongo, einen an Politik interessierten Kenianer, der Präsident werden will und sagt, er hätte sich aus dem Ghetto hochgearbeitet, jetzt arbeitet er beim Radio und hätte uns gerne interviewt, aber morgen sind wir weg, sie bitten uns zu sich an den Tisch, der Kongolese will, das sich ihm eine ältere Frau aus Deutschland besorge und träumt von Europa,   neben mich setzt sich eine Frau aus Zaire namens Diana, I like you very much, sagt sie, ich sage Thank you, beautiful, aber no thanks, ob ich heute bei ihr übernachten möchte, no way, ich winke vorsichtig ab, sie will, dass ich ihre Getränke bezahle. Als ich auf Klo gehe kommt eine andere auf mich zu und behauptet, ihre Freundin hätte sich in mich verliebt, eine andere nimmt mein Multifunktionstuch und zieht es an, während Diana ihre Hände auf meinem Oberschenkel platziert, schwierig, hier Nutten und Nichtnutten auseinanderzudifferenzieren, als wir nach Hause gehen, fragen uns Polizisten nach unseren Pässen, die wir im Hotel haben, sie werden böse, aber der gute Bulle kommt auch, erfährt dass wir Deutsche sind, obwohl man uns zuerst für Amerikaner hielt, und lässt uns weiterziehen, im Kopf die Bilder der AK 47, die die Jungs mit sich rumtragen, als wären es einfach Schlagstöcke, einmal mehr freue ich mich über die Vorzüge meiner europäischen Geburt.

Versuch, den Massai-Markt zu finden, finden einen Slummarkt mit einem Überangebot aus Mais, den Frauen stampfen, die riesigen Haufen abgeschälter Maisblätter sitzen. Passieren einen Müllhaufen, der raucht und säuerlich stinkt, und einen Autofriedhof, der als Ersatztteillager genutzt wird für Matatus, geschäftige Schwarze in Blaumännern und ölverschmierter Kleidung schlachten aus und streiten sich dabei.

Der Bus, der vor unserem nach Mombasa fährt hat ein ManU-Logo auf der Seite. Vielleicht bekommen wir Arsenal. Oder München.

Wir treffen einen Flüchtling aus Zimbabwe. Er hat ein Visum für zwei Monate und zwei Tage, versucht währenddessen Geld zu sammeln für seine Familie, hat im Goethe-Institut Deutsch gelernt, bis sie die Weißen aus dem Land gejagt haben.

Wir verlassen Nairobi also, wie wir hergefunden haben: Übermüdet, viel zu überhastet. Die River Street verabschiedet sich mit Vibration, ohne Schlaf. Warten bis um 10, afrikanische Zeit, vor halb elf passiert also nichts, hin und wieder raus, Zigarette rauchen: Weil wir billig fahren und offensichtlich weder Angst vor Siff noch der Straße bei Nacht haben, sind die Verkäufer höflich: Sie bieten zwar an, lächeln aber, wenn wir sagen, dass wir nichts wollen und ziehen schnell und diskret wieder ab. Vielleicht haben wir einen abgeklärten Ausdruck in den Augen, der sagt, Nein, das kennen wir schon. 

Der Staub Afrikas auf diesem Notizbuch, auf meinen Schuhen, die quer durchs Land gelaufen sind, jetzt ruhen in der ranzigen Busstation, dessen Fenster eingeschlagen sind also die Rollläden heruntergelassen, in der Ecke spielt einer mit dem Handy und kaut Kat, denke an meine Großmutter, was würde sie tun, wenn sie hier wäre, sie, die panisch weggelaufen ist, als sie am Parkautomaten des Hannoveraner Flughafens von drei Türken umzingelt wurde, die wahrscheinlich nur einen Parkschein ziehen wollten, nicht Acca Road, Nairobi. 

Die Nacht ist kurz, 10 Stunden, und findet unter Reggae-Dauerbeschallung statt. Gute Lieder dreht der Fahrer noch extra auf, ungeachtet der Uhrzeit, ungeachtet der Fahrgäste, er muss wachbleiben, vermutlich. Stoppen an verlassenen Tankstellen, mitten in der Nacht, selbst der Massai-Krimskrams-Verkäufer ist müde, wortlos hält er mir sein Angebot hin, ich winke wortlos ab, er schaut traurig und lungert sich wieder hin. Myri und ich decken uns mit meinem Tuch zu, wir schwitzen, das Klima wird feucht, selbst jetzt, mitten in der Nacht, niemand macht ein Fenster auf. 

Die Sonne geht auf über einem Palmenwald, und für einmal passt die Musik: französichsprachiger Ragga, Refrain: Oh, Africa, immer wieder, dösig, wie ich bin, macht sich das sehr gut zusammen.

In Mombasa kennen uns die Verkäufer und Taxifahrer noch nicht. Sie versuchen es immer wieder, immer wieder müssen wir abwinken. Hier sieht alles arabischer aus, gedrungene, helle Häuser, ornamentiert, nicht die klotzigen Hochausbauten Nairobis. Wir nehmen ein Matatu, zusammen mit unseren Rucksäcken bezahlen wir fünf Plätze, ein Lob auf den öffentlichen Nahverkehr Afrikas. Wir laufen mit den Rucksäcken durch Nyali Beach und kommen an in einem Hotel, das luxuriöseste bis jetzt, ausgestattet mit einem weißen Palmenstrand und fetten Europäern.

So überbeschützt. Treffen Tony und Matano, die uns in eine Touridisco mitschleppen, die offen gebaut ist, das heißt, sie versuchen, die Mauer mit den Glasscherben drauf hinter Palmen zu verstecken, den Security-Check mit Metalldetektoren nicht zu offensiv zu gestalten. Matano ist ein Redner, der ununterbrochen seine Lebensphilosophie erklärt, schalte ab, versuche, hin und wieder Sarah vor ihm zu retten, aber werde nur selber eingesogen. Alle Leute lieben, sagt er, aber keinem vertrauen. Als wir sagen, dass wir zum Hotel laufen wollen, wollen sie uns ein Taxi bezahlen, sie hätten Angst um uns. Hört mal, möchte ich sagen, die eine da, die hat ein Jahr in Kairo überlebt, auch die Polizeistationen. Die andere, die kleine, blonde, ein halbes Jahr Südostasien inklusive Kambodscha. Ich war in Johannesburg Downtown, ich kenne Kapstadt nachts, ich kenne ein paar üble Ecken von Atlanta, San Francisco und Los Angeles. Ich habe klebstoffschnüffelnde Kinder in Durban abgewehrt. Gerade kommen wir alle drei aus Nairobi, wir waren da nachts um eins auf den Straßen, Nairobi, ihr wisst schon, Nairobbery sagen sie in diesem Land dazu. Dies hier ist Nyali Beach. Was soll passieren? Dass wir gegen unseren Willen beschützt werden, geht mir gegen die Ehre. Aber wahrscheinlich wissen sie es besser.

Myri ist fort, weg mit Tony, Urlaubsflirt. Sarah und ich liegen am Strand, verabschieden uns vom Indischen Ozean, wir lassen den feinen, weißen Sand noch einmal durch die Finger rieseln, die Krebswanderung setzt ein, handtellergroße Tiere, die sich unvermittelt einbuddeln, nach Essen suchen, einer mit Muschel auf dem Körper ist auch dabei. Unglaubliche Sterne, Meeresrauschen.

The road. Immer und immer wieder. Als würde man nie irgendwo ankommen. Jede Stadt habe ich hinter mir gelassen, just another safari sonst wohin. Wie ließe sich die Großstadt Nairobi vergessen? Wie das magische Mombasa? Eine Stadt vergessen heisst ihr Unrecht tun, aber ihr ist das wahrscheinlich egal.

Flughafen Amsterdam: Wie fremd hier alles ist. Wie aufgeräumt. Wieder alleine, ganz alleine, so allein wie seit Wochen nicht mehr. Alles ist so sauber, so aufgeräumt, so gar nicht chaotisch. Es gibt überall Toiletten, Klopapier ist reichlich vorhanden. 

Den letzten Strandsand schüttele ich Shuttle zum Flugzeug nach Hannover ab. Gestern habe ich noch an einem tropischen Strand mit Sonnenbrand auf dem Tuch gelegen, jetzt benutze ich es als Schal. Dort gab es keinen Bus zum Flugzeug. Wir sind einfach übers Flugfeld gelaufen. Den ganzen Tag nur Flugzeugessen. Danke für die Kurve über Amsterdam. Wie mag wohl Nairobi nachts aussehen? Lange nicht so hell, nicht so sortiert. Wolken verschlucken die Stadt. Ich werde das alles vermissen. 

Geschichte, die ich den Leuten in der S-Bahn nach Hause gerne erzählen würde: Gerade komme ich aus Mombasa (der klang dieses mythischen Namens würde ihnen die Sprache aus ihren feisten Gesichtern schlagen). Die Frisur, die ihr so belächelt hat mir ein Mächen geflochten, ein wunderschönes Mädchen, halb Inderin, halb Afrikanerin, es war das schönste Mädchen, dass ich je gesehen habe. Sie hat mir gestern die Haare geflochten an einem Strand der so weiß war, dass er die Augen geblendet hat, man musste sie schließen, wenn man dort lag. Wir lagen dort bis abends, danach haben wir beobachtet, wie die Krebse auf Jagd gingen, und später begannen die Algen im Meer zu leuchten. Sie hat gesagt, dass die Zöpfe vier Wochen halten, so lange, wie ich mich an sie erinnern würde. Ich habe gesagt, dass das Blödsinn ist, ich würde mich immer an sie erinnern, und ich würde wiedergekommen. Sie hat  gelächelt, das Lächeln hatte sie von ihrer indischen Mutter und gesagt: Du wirst mich vergessen. Und wenn du wiederkommst, bin ich verheiratet, habe vier Kinder oder Aids oder beides. 

Wo sind die schönen Menschen?. Wo ist das Wunderland, von dem sie mir da unten erzählt haben? Die Stadt ist so ruhig. Wo sind die Matatu-Fahrer, die ihre Ziele lauthals herausschreien? Wo sind die Verkäufer, die mir irgendetwas andrehen wollen? Wo sind die ununterbrochen schnatternden Menschen? Wo die Massai, wo die Muslime? Alle hier sind so bleich, so feist, so gleich. 

Vielleicht lässt man immer etwas von sich da, wenn man reist, und nimmt dafür etwas anderes mit. Ich weiß nicht, was ich dagelassen habe, aber ich hoffe es war wertvoll genug dafür dass jetzt tropische Sonne in meinen Augen habe. Ich will nichts vergessen. Ich will mich nicht wieder hier dran gewöhnen, das lohnt sich nicht. Ich will hier ein Fremder bleiben. Das verspreche ich einem Kontinent. 

Dinge, die ich vermisse: 
Verschwitzt den beiden Mädels einzuschlafen, nachdem wir stundenlang über alles Mögliche erzählt haben, obwohl wir früh rausmüssen. 
Tusker. Auf die Freiheit. Auf die Menschen. Auf die Straße.
Verpennt durch afrikanische Städte hetzen.
Tropenklima.
Meine Klogänge sorgfältig im Voraus zu planen, weil ich nie weiß, was noch kommt.
Stundenlange Diskussionen mit Taxifahrern und fliegenden Händlern.
Versiffte Bars und Restaurants, in denen es eine riesige Auswahl an Gerichten und Getränken gibt, die es dann doch nicht gibt.
Myris Lächeln und Sarahs Welt mit Verbessungspotential.
Afrikanische Strassen.
Reaggae und R n B. Kann man in Deutschland einfach nicht hören.
Den Sound von Swaheli, dieses arabisch-light.
Die Sterne der südlichen Hemisphäre, aber die habe ich auch vermisst bevor ich sie kannte.


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