Ich bin kein wütender Mensch. Eigentlich. Aber als ich Detlev Holland-Moritz' Buch "Promoter" zur Rezension in die Finger bekam (oder, um genauer zu sein: die Druckfahnen davon, die der Verlag mir zuschickte), ging es ein wenig mit mir durch.
Zum Einen, weil das Buch klingt, als hätte es ein verwirrter taz-Redakteur geschrieben, der seit 1985 weder den Fernseher noch das Radio angemacht hat, weil er die Welt da draußen und diese ständige Überreizung nicht mehr erträgt.
Zum Anderen, weil es ein böses und arrogantes Buch ist, das keine Meinung zulässt außer seiner eigenen. Und versucht, seine Deutungshoheit mit stilistischen Avantgardespielchen aus den frühen 90ern zu rechtfertigen.
Ich las die Druckfahne auf mehreren Zugfahrten, und kritzelte den Rand mit wütenden Bemerkungen voll. Für meine Besprechung des Buches auf WDR3, die Sendung hieß "Gutenbergs Welt", und lief im Juli 2011, fasste ich die am wenigsten bösen Randkritzeleien zu einem Beitrag zusammen. Ich würde die Sendung hier gerne verlinken, aber leider steht sie nicht mehr online. Das Thema war, wenn ich mich richtig erinnere, "Schweifen, streunen, sich verlieren."
Es ist möglich, dass die Besprechung ein wenig unfair ist. Und genauso arrogant wie das Buch. Aber andererseits: Purer Affekt. Passiert mir auch nicht so oft.
Notizen, an die Druckfahne von Detlev Holland-Moritz' „Promoter“ gekritzelt
Manchmal muss man die Axt nehmen. Bild von hier. |
Holland-Moritz
liebt auch Adorno: Der Bruch, dieser Konflikt, der hier versucht
wird, mit einem irrsinnigen Mix zu lösen: Das wäre passiert, wenn
man Adorno gezeigt hätte, wie ein DJ-Pult funktioniert: Es gibt
keine Themen, keinen Beat. Da wird gegen den Strich gemixt, als wäre
anything goes nicht schon längst nach hinten losgegangen. Was nützt
der klügste Mix, wenn er nur Kunst und kein Tanz ist?
Pink
Floyd zum Beispiel sind böse, weil sie die authentische
psychedelische Erfahrung in die Künstlichkeit des Stadionrock geholt
haben. Und dann war plötzlich alles elektrifiziert, und dann kam
Disco. Oder anders: Früher, damals in den 70ern, da war alles
besser, weil es authentischer war. Dann kam der Hyperkapitalismus.
Als wäre das tatsächlich eine Dialektik, als ginge das so einfach,
als könne die Erfahrung auf dem Dancefloor, unter dem, was
Holland-Moritz Strobe-Lights nennt, nicht authentisch sein, nur, weil
die Musik die Inkarnation des Artifiziellen ist.
Das
ist wie mit dem Rock'nRoll: Der hat, sagt Hollland-Moritz, die
marxistische Theorie verändert. Als ginge es darum beim Rock'nRoll.
Als wäre das irgendwie relevant. Wann war der Mann das letzte Mal in
einem drittklassigen Rockschuppen irgendwo in der Provinz? Die dort
gelebte Freiheit entleert ihre Nase auf seiner marxistischen Theorie.
Detlev Holland-Moritz betätigt sich als Archäologe: Einer, der
einen uralten Authentizitätsdiskurs und stellenweise sogar die
Protagonisten aus den 70ern wieder ausgräbt, und versucht, ihn auf
die Gegenwart anzuwenden.
„Promoter“
ist ein
schwarzes Loch, so unendlich dicht: Alles, was Holland-Moritz in den
70ern gelernt hat, von Fichte, Brinkmann, von den Amerikanern
mitgenommen hat, benutzt er, um die Gegenwart aufzuschlüsseln.
Kulturwissenschaftlich-literarische Molekularküche, die Elemente bis
zu Unkenntlichkeit zu einem superschweren Ball verdichtet, einer
ausgebrannten Sonne, die ihre Supernova hinter sich hat.
Die
Verdichtungen von Welt, von Kulturphänomenen gehen immer nur ins
Subjektive, haben aber einen Anspruch aufs Außen, sie sollen Kunst
erklären, sie sollen Pop erklären. Immer wieder blitzen diese
Momente aus Klarheit auf, die wunderschön sind, aber begraben unter
superdichten Rätselsätzen. Das sind Sätze aus der Zeit, wo der
schwere Zugang, das Rätsel, letztendlich: die Unhöflichkeit
gegenüber dem Leser als Kunst galt: die Ebenen so dicht verwoben,
ein gordischer Knoten, und nirgends ein Alexander.
Holland-Moritz
remixt Kultur, löst die obsolete Trennung von U und E-Kultur
zugunsten einer neuen Dialektik von Kunst und Nicht-Kunst auf. Und
dabei ist er beseelt vom heiligen Geist Adornos. Man möchte den Mann
schütteln: Dann zeig sie mir doch, deine Kunst, dann zeig mir, wie
das in der PRAXIS funktionieren soll. Das ist tatsächlich wie
Adorno: In seiner Radikalität macht das Sinn, aber wenn man selber
produzieren möchte, ist diese Position von Kunst nur unpraktikabel:
Letztendlich führt das zur Verrätselung, und damit zur
Bedeutungslosigkeit.
Was
wäre, wenn Kunst nicht nur sich selbst genügen müsste, sondern
auch zu denjenigen, die sie sehen, lesen, konsumieren, sprechen
müsste? Eben weil nicht Kunstsein ihr einziger Zweck ist, sondern
Kommunikation.
Dass
einem dann auch noch erklärt wird, Rainald Goetz und Malevich und
Yves Klein und Patti Smith und Neue Musik seien jetzt der heiße
Shit. Hat der Mann in den letzten 20 Jahren in einer Höhle gelebt?
Zum Glück wehrt sich Pop gegen jegliche politische Vereinnahmung
derer, die seit den 70ern und immer noch daran glauben.
Sie
rufen nach Authentischem und sind doch nur überfordert von viel zu
vielen parallelen Streams: Reizüberflutung. Wieder ein
Adorno-Problem, dass Holland-Moritz' Buch auch hat: Bei Adorno ist
das Konzept, diese absichtliche Verrätselung, man muss sich daran
reiben, um etwas rauszuholen. Man hat aber immer noch eine Chance.
Holland-Moritz' Verätselung ist stellenweise so persönlich, dass
das Rätsel nicht mehr zu lösen ist. Holland-Moritz verwechselt
Kunst mit der groben Unhöflichkeit, seinen Lesern keine Chance zu
geben, er setzt sie einfach diesem superdichten Todesstern namens
„Promoter“ aus, und schaut dabei zu, wie einer nach dem anderen
über den Ereignishorizont kippt.
„Promoter“
ist im Grunde ein gigantisch angelegtes „Was wurde eigentlich
aus...?“, und das ist die große Tragik daran: die Positionen, die
Holland-Moritz aufstöbert gibt es eigentlich nicht mehr: Er steht
symptomatisch für eine Generation von Denkern, von Praktikern, von
Künstlern, die allesamt entweder weitergezogen sind, oder den Staub
derjenigen schlucken, die schon längst woanders sind: Die
Geschichten einer alten Westberliner Avantgarde, die ihren Zug so
ungefähr beim Mauerfall verpasst hat.
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