Montag, 26. November 2012

Wütende Notizen


Ich bin kein wütender Mensch. Eigentlich.  Aber als ich Detlev Holland-Moritz' Buch "Promoter" zur Rezension in die Finger bekam (oder, um genauer zu sein: die Druckfahnen davon, die der Verlag mir zuschickte), ging es ein wenig mit mir durch. 
Zum Einen, weil das Buch klingt, als hätte es ein verwirrter taz-Redakteur geschrieben, der seit 1985 weder den Fernseher noch das Radio angemacht hat, weil er die Welt da draußen und diese ständige Überreizung nicht mehr erträgt.
Zum Anderen, weil es ein böses und arrogantes Buch ist, das keine Meinung zulässt außer seiner eigenen. Und versucht, seine Deutungshoheit mit stilistischen Avantgardespielchen aus den frühen 90ern zu rechtfertigen. 
Ich las die Druckfahne auf mehreren Zugfahrten, und kritzelte den Rand mit wütenden Bemerkungen voll. Für meine Besprechung des Buches auf WDR3, die Sendung hieß "Gutenbergs Welt",  und lief im Juli 2011, fasste ich die am wenigsten bösen Randkritzeleien zu einem Beitrag zusammen. Ich würde die Sendung hier gerne verlinken, aber leider steht sie nicht mehr online. Das Thema war, wenn ich mich richtig erinnere, "Schweifen, streunen, sich verlieren."

Es ist möglich, dass die Besprechung ein wenig unfair ist. Und genauso arrogant wie das Buch. Aber andererseits: Purer Affekt. Passiert mir auch nicht so oft.




Notizen, an die Druckfahne von Detlev Holland-Moritz' „Promoter“ gekritzelt


Manchmal muss man die Axt nehmen.
Bild von hier.
Detlev Holland-Moritz liebt Patti Smith: In einer der klarsten, verständlichsten Passagen in seinem Buch „Promoter“ ist er auf einem ihrer Konzerte, steht mit den anderen Mittfünfzigern vor irgendeiner Berliner Waldbühne, und findet alles ganz großartig. Die Szene ist in der Mitte des Buches, aber in welcher Reihenfolge man die losen Notizen liest, ist sowieso egal.

Holland-Moritz liebt auch Adorno: Der Bruch, dieser Konflikt, der hier versucht wird, mit einem irrsinnigen Mix zu lösen: Das wäre passiert, wenn man Adorno gezeigt hätte, wie ein DJ-Pult funktioniert: Es gibt keine Themen, keinen Beat. Da wird gegen den Strich gemixt, als wäre anything goes nicht schon längst nach hinten losgegangen. Was nützt der klügste Mix, wenn er nur Kunst und kein Tanz ist?


Pink Floyd zum Beispiel sind böse, weil sie die authentische psychedelische Erfahrung in die Künstlichkeit des Stadionrock geholt haben. Und dann war plötzlich alles elektrifiziert, und dann kam Disco. Oder anders: Früher, damals in den 70ern, da war alles besser, weil es authentischer war. Dann kam der Hyperkapitalismus. Als wäre das tatsächlich eine Dialektik, als ginge das so einfach, als könne die Erfahrung auf dem Dancefloor, unter dem, was Holland-Moritz Strobe-Lights nennt, nicht authentisch sein, nur, weil die Musik die Inkarnation des Artifiziellen ist.

Das ist wie mit dem Rock'nRoll: Der hat, sagt Hollland-Moritz, die marxistische Theorie verändert. Als ginge es darum beim Rock'nRoll. Als wäre das irgendwie relevant. Wann war der Mann das letzte Mal in einem drittklassigen Rockschuppen irgendwo in der Provinz? Die dort gelebte Freiheit entleert ihre Nase auf seiner marxistischen Theorie. Detlev Holland-Moritz betätigt sich als Archäologe: Einer, der einen uralten Authentizitätsdiskurs und stellenweise sogar die Protagonisten aus den 70ern wieder ausgräbt, und versucht, ihn auf die Gegenwart anzuwenden.

Promoter“ ist ein schwarzes Loch, so unendlich dicht: Alles, was Holland-Moritz in den 70ern gelernt hat, von Fichte, Brinkmann, von den Amerikanern mitgenommen hat, benutzt er, um die Gegenwart aufzuschlüsseln. Kulturwissenschaftlich-literarische Molekularküche, die Elemente bis zu Unkenntlichkeit zu einem superschweren Ball verdichtet, einer ausgebrannten Sonne, die ihre Supernova hinter sich hat.

Die Verdichtungen von Welt, von Kulturphänomenen gehen immer nur ins Subjektive, haben aber einen Anspruch aufs Außen, sie sollen Kunst erklären, sie sollen Pop erklären. Immer wieder blitzen diese Momente aus Klarheit auf, die wunderschön sind, aber begraben unter superdichten Rätselsätzen. Das sind Sätze aus der Zeit, wo der schwere Zugang, das Rätsel, letztendlich: die Unhöflichkeit gegenüber dem Leser als Kunst galt: die Ebenen so dicht verwoben, ein gordischer Knoten, und nirgends ein Alexander.

Holland-Moritz remixt Kultur, löst die obsolete Trennung von U und E-Kultur zugunsten einer neuen Dialektik von Kunst und Nicht-Kunst auf. Und dabei ist er beseelt vom heiligen Geist Adornos. Man möchte den Mann schütteln: Dann zeig sie mir doch, deine Kunst, dann zeig mir, wie das in der PRAXIS funktionieren soll. Das ist tatsächlich wie Adorno: In seiner Radikalität macht das Sinn, aber wenn man selber produzieren möchte, ist diese Position von Kunst nur unpraktikabel: Letztendlich führt das zur Verrätselung, und damit zur Bedeutungslosigkeit.

Was wäre, wenn Kunst nicht nur sich selbst genügen müsste, sondern auch zu denjenigen, die sie sehen, lesen, konsumieren, sprechen müsste? Eben weil nicht Kunstsein ihr einziger Zweck ist, sondern Kommunikation.

Dass einem dann auch noch erklärt wird, Rainald Goetz und Malevich und Yves Klein und Patti Smith und Neue Musik seien jetzt der heiße Shit. Hat der Mann in den letzten 20 Jahren in einer Höhle gelebt? Zum Glück wehrt sich Pop gegen jegliche politische Vereinnahmung derer, die seit den 70ern und immer noch daran glauben.

Sie rufen nach Authentischem und sind doch nur überfordert von viel zu vielen parallelen Streams: Reizüberflutung. Wieder ein Adorno-Problem, dass Holland-Moritz' Buch auch hat: Bei Adorno ist das Konzept, diese absichtliche Verrätselung, man muss sich daran reiben, um etwas rauszuholen. Man hat aber immer noch eine Chance. Holland-Moritz' Verätselung ist stellenweise so persönlich, dass das Rätsel nicht mehr zu lösen ist. Holland-Moritz verwechselt Kunst mit der groben Unhöflichkeit, seinen Lesern keine Chance zu geben, er setzt sie einfach diesem superdichten Todesstern namens „Promoter“ aus, und schaut dabei zu, wie einer nach dem anderen über den Ereignishorizont kippt.

Promoter“ ist im Grunde ein gigantisch angelegtes „Was wurde eigentlich aus...?“, und das ist die große Tragik daran: die Positionen, die Holland-Moritz aufstöbert gibt es eigentlich nicht mehr: Er steht symptomatisch für eine Generation von Denkern, von Praktikern, von Künstlern, die allesamt entweder weitergezogen sind, oder den Staub derjenigen schlucken, die schon längst woanders sind: Die Geschichten einer alten Westberliner Avantgarde, die ihren Zug so ungefähr beim Mauerfall verpasst hat.


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