Zugegeben, ich hatte Mist gebaut. Der Artikel sollte eigentlich ein Interview werden, mit Benjamin von Stuckrad-Barre über seine neue Arbeit bei der B.Z., und ich hatte dafür eine gute Zeit erwischt: Herr von Stuckrad-Barre hatte gerade ein neues Buch herausgebracht, und war deshalb Interviewanfragen durchaus aufgeschlossen. Er hat mich sogar angerufen, und wir verabredeten ein Email-Interview. Und über den Rest möchte ich lieber nicht reden. Sagen wir nur: Meine Fragen waren so... dilletantisch, dass er eine mehr oder weniger böse Antwort schrieb, und sich weigerte, sie zu beantworten. Nun hatte ich aber eine Deadline, und musste mir für diese Ausgabe der "Non Fiktion" also etwas aus den Fingern saugen. Dies ist das Saugergebnis.
Aus Schrödingers Zylinder gezaubert
Anmerkunden zu Benjamin von Stuckrad-Barres Boulevard-Reportagen
„Wenn Chuck Norris ins Wasser geht, wird nicht Chuck Norris nass, sondern das Wasser wird Chuck Norris“
(altes Sprichwort)
Da steckt was drin. Bild von hier. |
Benjamin von Stuckrad-Barre gibt es nicht. Wer ihn bei der B.Z., der größten und wichtigsten Boulevard-Zeitung Berlins, erreichen will, telefoniert zuerst mit einer freundlichen Sekretärin, aber die hat den Namen noch nie gehört. Doch, doch, versichert man, der Name steht ja im Blatt immer über den Texten, und man selbst könne ihn gar nicht verwechseln, sagt man, man selbst komme aus dem Literaturbetrieb und da sei Stuckrad-Barre eine wirklich große Nummer, kein Kapitel, kein Buch, das jemals über deutsche Popliteratur geschrieben werden wird, könne auf seinen Namen und seine Texte verzichten. So, sagt die Sekretärin. Und: Da soll man dann mal die Telefonnummer hinterlassen, sagt die Sekretärin. Gegebenenfalls riefe jemand zurück.
Auch wenn ihn im Vorzimmer niemand kennen will – Stuckrad-Barre war zu Arbeitsbeginn bei Springer in aller Munde. „Er ist ein Flaneur im alten Sinne, doch ohne jede Blasiertheit“, feierte ihn Thomas Schmid, Chefredakteur der Welt. Und: „Er setzt damit die Tradition des literarisch funkelnden Boulevards in Berlin fort“, historisierte Walter Mayer, Chefredakteur der B.Z.
„Kleines Berliner Schmuddelkind“, so nannte der BildBlog einmal die B.Z. „Berliner Pittbullblatt“, so nannte Stuckrad-Barre sie selbst, in "Boulevardjournalismus", einem Text der in "Deutsches Theater" erschienen ist. Hier geht es um Franz-Josef Wagner, den Kolumnisten von "Bild", der Tag für Tag in knappster Form seine grobe Sentimentalität mit lustvollem Zynismus ohne Rücksicht auf Menschlichkeiten und Moralitäten zum Besten gibt. "Boulevardjournalismus" endet mit einer Abrechnung dieser Schreibweise, die für Stuckrad-Barre die Boulevard-Schreibweise schlechthin ist. „Wenn ein Mensch in Deutschland das Recht auf faire journalistische Behandlung verwirkt hat“, heißt es da im Franz-Josef Wagner-Jargon, „dann du, lieber FJW. Ganz herzlich, wirklich.“
Das war 2002. 2008 teilt Stuckrad-Barre in der Juliausgabe des Magazins "Cicero" mit: „Ich habe einige Jahre für die taz geschrieben und erleben dürfen, wie die in der Redaktion miteinander umgehen, wie selbstgewiss die denken und schreiben, wie schlecht sie Zeitung machen, sich dabei über den Boulevard erheben, das ist widerlicher als alles, was in ‚Bild’ und ‚Bunte’ steht“. Also, lieber BvS-B, was ist denn da passiert, muss man im Franz-Josef Wagner-Jargon fragen: Hättest Du, der nach den zwischenzeitlich in den Boulevardblättern inszenierten persönlichen und literarischen Krisen zwar angefressene, aber trotzdem noch übergroße Stuckrad-Barre Dich nicht woanders anbiedern können? Hast Du den Boulevard nötig?
Natürlich hat er. Es ist konsequent. „Der Boulevard ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, schreibt Rainald Goetz in "Klage". Und Benjamin von Stuckrad-Barre war immer schon ein Protokollant, der aus der Mitte der Gesellschaft kam und sie abgehört hat, um den Sound der Wirklichkeit einzufangen und perfekt zu imitieren, so perfekt, dass er sogar selbst zum Sound der Wirklichkeit wurde. Ob er es als Gag-Schreiber von Harald Schmidt darauf angelegt hat, den Mainstream mit Witzen zu kitzeln, oder ob er in "Soloalbum" das Lebensgefühl der jungen Mittelklässler beleuchtete, in "Livealbum" sich selbst als Symptom eines mittelmäßigen Literaturbetrieb porträtierte, es in "Was.Wir.Wissen" gleich mit dem ganzen Internet versuchte, natürlich auch in seinen kleineren Stücken immer wieder etwas furios auseinandernahm, mittendrin zu einer seiner eigenen Figuren wurde und dabei, als wäre es ein Zaubertrick, schnell noch die Medienwelt, in der sich befand, mitbeschrieb: Kein traditioneller Flaneur, keiner, der langsamer geht und sich umschaut. Sondern einer, der genauso schnell geht wie alle anderen. Vielleicht ein bisschen schneller. Und der in dem Sound, den er im Vorbeigehen hört, mitschreiben kann.
Nicht von unten, nicht von oben
Was macht so einer, wenn er einen neuen, auflagestarken Abenteuerspielplatz braucht? Er sucht sich die nächste Form. Er taucht noch tiefer ein. In die Themen: Scientology, Killerspiele, Energieversorger. In den Zugriff: People, der kleine Mann. In den Stil: „Ja, sind denn diese Art Spiele nicht gewaltverherrlichend, gewaltfördernd, rekrutieren sie nicht nächste U-Bahn-Schläger oder Amokläufer?“ Und er lässt sich am Telefon verleugnen: Es gibt bei der B.Z. keinen Autoren namens Benjamin von Stuckrad-Barre. Es gibt dort nur den Boulevard. Und der ist eben das Genre derer, die immer schon drin stecken und mitmachen, statt kritisch von außen drauf zu schauen. Da kann Stuckrad-Barre mithalten. Er wird ein Teil der B.Z.-Heerscharen, und auch wenn hinter dem einen oder anderen Satz noch ein wenig Stuckrad-Barre-Sound lauert, den der Kenner erkennt. Der große Imitator richtet sich in einer neuen Form ein. Aber nicht parodistisch, nicht satirisch, nicht um sie von innen her moralisch, inhaltlich oder stilistisch zu sprengen. Stuckrad-Barre ist kein Wallraff, der Hans Esser bei Bild war. Er kommt nicht von ganz unten, aber nicht von oben, er ist von Anfang an tief und fest drin.
So ist das eigentlich Experimentelle dieses Engagements, dass Stuckrad-Barre die Form exakt und akribisch befolgt. Dass er augenscheinlich gar nicht experimentell operiert. Dabei sagt doch der literaturbetriebliche Reflex: Aber es ist ja unser Stuckrad-Barre der da schreibt, da muss doch mehr dahinterstecken. Die neue Reportageform. Die Ironisierung, gar Kritik durch Überaffirmation. Die Kritik von Innen. Der Stuckrad-Barre'sche Marsch durch die Institutionen. Die Reportage, die über ihren Inhalt hinaus eigentlich etwas übers Medium erzählt, über den Medienbetrieb.
Der Boulevard in Schrödingers Zylinder
Wer so etwas sucht, wird enttäuscht. In den Texten ist davon nichts zu spüren. Und trotzdem verändert der Autor den Text und macht ihn zum Kontext-Text, der alles, was um ihn herum gedruckt ist in seinen Bann zieht und umgekehrt: der von allem, was um ihn herum gedruckt ist, in den Bann gezogen wird. Der Autorname scheint und strahlt für den, der ihn zu lesen weiß. Er ironisiert, reflektiert die Seite, auf der er steht, von da aus dann die ganze Zeitung, vielleicht ein ganzes Genre. Nicht Stuckrad-Barre wird Boulevard – der Boulevard wird Stuckrad-Barre. Der Boulevard wird zu Boulevard über Boulevard. Weil Stuckrad-Barre drinsteckt. Und weil er nicht drinsteckt. So zieht er den Boulevard aus Schrödingers Zylinder.
So kommt man mit den alten Reflexen nicht weiter: Es nützt nichts, dass man Stuckrad-Barres B.Z.-Reportagen vor dem Hintergrund des Stuckrad-Barre’schen Werkes lesen und mit einschlägigen Interpretationen umstellen will. Mit genauso großer Berechtigung könnte man die Texte vom Medium her lesen, und sagen: Alles Quatsch, der macht jetzt einfach in Tiere, in Sex, in People, in Autos, in Sensationen und will gerade nicht, dass man ihn auf Teufel komm raus als kritische Form verstehen will. Ist ja möglich. Man steckt eben selbst nicht drin.
So stellt sich hier nicht die Frage: Wie hat er das denn jetzt wieder gemacht? Die Frage ist vielmehr: Hat er denn überhaupt was gemacht? War das schon der Trick? Imitiert der Imitator nur sich selbst? Gibt es den großen Durchschauer Stuckrad-Barre überhaupt noch? Oder tut er nur so?
In all dem Durcheinander meldet sich die Sekretärin von der B.Z. dann auch nochmal. Sie gibt die Genehmigung für den Nachdruck einiger seiner Reportagen weiter. Und lässt ausrichten, Herr von Stuckrad-Barre würde sich melden. Ein Interview kommt nicht zustande. Zu sagen gibt es nichts. Wir sind sicher, es steckt mehr dahinter. Aber wissen können wir es nicht.
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