Die Geschichte, wie ich Andreas Altmann kennen und schätzen lernte, ist eine lange Geschichte, und außerdem eine, die mich in gutem Licht da stehen lässt, deshalb erzähle ich sie nicht. Würde ich sie erzählen, wäre der erste Satz: Ich traf Andreas Altmann auf Sansibar. Das ist zwar gelogen, weil es eigentlich der Flughafen von Amsterdam war, aber Sansibar klingt besser, und stimmt auch größtenteils. Jedenfalls tranken wir zusammen ein Bier auf der Terasse eines Hauses, das in der Nähe von Freddy Mercurys Geburtshaus lag, das will doch auch was heißen.
Tatsächlich liegt dieses Interview an einem Knotenpunkt verschiedener, wichtiger und schöner Ereignisse in meinem Leben: Zum einen dieser Reise nach Kenia und Tanzania, und zum anderen der Wanderung nach Bordeaux.
Später kam dann für die Non Fiktion ein Interview mit Andreas Altmann über das Laufen und Schreiben zustande, das er in seiner typisch knurrigen Art absolvierte. Mit freundlicher Unterstützung von Stefan Mesch, übrigens.
"Die Füße tun schon vorher weh."
Andreas Altmann. Reporter. Unterwegs zu Fuß.
Nairobi, nach einem langen Flug.
Links: Andreas Altmann.
Mitte: Ich. Foto: Privat.
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Um zwei Dinge bittet Altmann noch: Es soll auf seine Internetseite und auf sein neues Buch hingewiesen werden. Also: Die Webadresse ist www.andreas-altmann.com, und das neue Buch ist eine Sammlung kleinerer Reportagen und heißt „Sucht nach Leben. Geschichten von unterwegs“ Erscheinen wird es im Frühjahr 2008 im Dumont Verlag.
Wir machen das Interview ja per Mail. Also, wo steckst du gerade?
Ich bin in Indien
Heute schon ein Stück gelaufen?
Nein, ich sitze. In einem Kloster.
In deinen Büchern ist es so: Wenn du irgendwo ankommst, unternimmst du die erste Erkundungstour immer zu Fuß. Ist das die beste Art, sich fremdes Territorium anzueignen?
Solche Fragen sind gefährlich, denn jetzt wird ein Heldensatz erwartet, eine Weltweisheit, eine kernige Wahrheit. Ach, ich bin bescheidener geworden. Gehen ist einfach sinnlich, es beansprucht meine Sinne. Zudem entschleunige ich dabei, ich kann also wahr-nehmen, ich bin „da“. Zudem bin ich leiser als Autos, rieche besser, bin schutzloser, sprich, wacher.
Die Reportage und zu Fuß gehen – warum passt das zusammen?
Ich habe neun Jahre Latein gelernt und davon sind etwa neun Worte übrig geblieben. Wie das Wort „reportare“, zurücktragen. Ich bringe also zurück (dem Leser), was ich gesehen habe. Im amerikanischen Journalismus gibt es den Ausdruck „legwork“, Beinarbeit. Die immer dann gefragt ist, wenn andere Hilfsmittel versagen. Kein Vehikel bringt mich so nah wie meine Füße.
Aber der rasende Reporter geht nicht zu Fuß, oder?
Egon Erwin Kisch, der ja den Ausdruck geprägt hat, war viel zu Fuß unterwegs. Zudem, keinem Reporter hilft sein Klischee, wenn er an eine Story ran will. Wenn es die Umstände erfordern, soll er sich in einen Düsenjet setzen und wenn andere Umstände gegeben sind, dann soll er schleichen. Und auf Klischees soll er pfeifen.
„Warum reisen? Binsenweis: Weil einer was lernen will“. Das steht in „Im Land der Regenbogenschlange“. Warum zu Fuß gehen? Die Binsenweisheit sagt: Man sieht mehr, man sieht langsamer. Und was sieht man nicht?
Ach, Gottchen, natürlich übersehe ich auch als Fußgänger unendlich viel. Aber ich sehe, wenn ich vif bin, mehr als der vorbeidonnernde Vollgasathlet. Aber auch ich, die Schnecke, erkenne nur einen Bruchteil der Wirklichkeit. Im japanischen Buddhismus gibt es die Tätigkeit „kinhin“, es handelt sich um eine „Geh-Meditation“. Die Teilnehmer bewegen sich nervtötend langsam, versuchen dabei, absolut konzentriert, die einzelnen „Sensationen“ des Körpers zu beobachten. Eine wunderbare Übung, um uns daran zu erinnern, wie bewusst-los, wie geistes-abwesend wir mit uns und der Welt um uns umgehen.
Wenn man zu Fuß geht, woraus besteht der Weg?
Aus nichts anderem – das wäre der Idealfall – als aus dem nächsten Schritt.
„Beim Gehen kommt einem so viel in den Kopf, das Hirn, das wütet“ – das ist von Werner Herzog.
Wie wahr, wir sind alle längst von dieser schwatzhaften Gesellschaft infiziert. Die uns von einer (trostlosen) Ablenkung in den nächsten (noch trostloseren) Hype jagt. Kein Wunder, dass unser Hirn nicht mehr still sein kann, nicht mehr im Augenblick verweilen.
Wenn man sich mal klassische Zu-Fuß-Geh-Reportagen anschaut, etwa Seumes Spaziergang nach Syrakus, oder Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, dann fällt auf, dass es da absolut nichts Ungewöhnliches ist, wenn Leute zu Fuß gehen. Bei zeitgenössisscheren Fußwegen, wie Werner Herzogs Vom Gehen im Eis, und natürlich auch in Deinem Buch 33 Tage – 34 Nächte ist dieses Zu-Fuß-Gehen schon ein Extremsport, zumindest eine Verrücktheit.
Ich habe auf dem Weg von Paris nach Berlin 17-Jährige getroffen, die mich sicher für einen durchgeknallten Onkel hielten. So unfassbar schien ihnen ein Zeitgenosse, der wandert. In Amerika gibt es schon Toiletten, in die du hineinfahren kannst. Und in Los Angeles nennen sie einen Fußgänger denjenigen, der auf sein Auto zugeht. Als Fettkloß, versteht sich, als XXXLarge, längst tonnenschwer geworden in den vielen Jahren der Trägheit.
Was hat dich dann dazu bewogen, dich gegen diese autofahrende Gegenwart und in diese Geh-Tradition zu stellen?
Geld. Auch in Paris müssen Mieten gezahlt werden. Zudem bin ich Schreiber, irgendein Thema muss ich ja finden. Auch hatte ich immer abgelehnt, über Deutschland zu schreiben. So brav, so abenteuerleer, so unaufregend schien es mir. Aber zu Fuß und ohne Geld, dachte ich (und ich dachte richtig), werden sich Aufregungen ergeben.
Wolfgang Büscher schreibt: „So wollte ich es. Nicht beachtet werden, nicht einmal gesehen“. Ist es zu Fuß leichter, mit der Landschaft, und mit den Menschen zu verschmelzen? Hätte man nicht auf andere Art an die, wie du es immer nennst, „Stories“ kommen können?
Aber klar gibt es andere Methoden. Die ich ja auch, bei anderen Unternehmungen, anderen Reportagen angewendet habe. Die zehn eisern goldenen Regeln gibt’s nur auf Journalistenschulen. Im tatsächlichen Leben stimmt einmal diese Art, einmal eine andere. Was bleibt, bleiben soll: die Neugier.
Paul Theroux, Bruce Chatwin, Geoff Dyer... literarischer Reisejournalismus ist im englischen Raum erfolgreicher (und zwangloser?). Haben die Autoren und Leser dort einen kolonialistischen Blick, der deutschen Autoren und Lesern fremd ist?
Die Reiseilteratur hat in unserem Land einen schlechten Ruf. Zu Recht. Das Meiste ist von einer Fadheit, einer banalen Auflistung banaler Gedanken, einer erstaunlichen Unfähigkeit, „tiefer“ zu sehen, komplexer, sprich, uns, den Leser, zu überraschen. Vom Fehlen sprachlichen Raffinements gar nicht zu reden.
Siehst du dich im Reisen überhaupt als Deutscher?
Ob ich mich auf Reisen als Deutscher sehe? Na klar, als was sonst? Natürlich erfinde ich mir manchmal eine andere Nationalität: um den anderen auszuhorchen, um vorgefasste Meinungen zu unterlaufen, um zu erfahren – ganz konkret –, was er über Deutschland zu erzählen hat. Das tut er viel erfrischender, wenn er denkt, dass ich, als Zuhörer, nicht „betroffen“ bin.
Sich im Netz bewegen, in Bibliotheken, Supermärkten, Videospielen... überschneiden sich solche abstrakteren, alltäglichen „Routen“ mit deinen Bewegungsmodi beim Reisen?
Nun, ich gehe kaum in Bibliotheken, ich lese nur Bücher, die ich besitze. Da ich reinschmieren und links und rechts vom Text kommentieren will. Einen Supermarkt betrete ich fünf Minuten alle zwei Tage, und Videospiele kenne ich nicht. Nein, sie überschneiden sich nicht, denn sie nehmen nur einen Bruchteil der Zeit ein.
Gehörst du zu denen, die behaupten, die Welt sei zu schnell geworden?
Was soll einer sonst behaupten? Wenn er sieht, das die Schnelligkeit meist nur rasenden Stillstand produziert. Ich würde gern jemanden treffen, dessen Leben jetzt fordernder, sinnreicher, fesselnder geworden ist, weil er seit drei Wochen 10.000 oder 20.000 Songs zehntausend oder zwanzigtausend Mal schneller auf seinen iPod runterladen kann. Hat er jetzt besseren Sex? Ein gütigeres Herz? Eine formidablere Ausstrahlung? Ein eleganteres Auftreten? Nee, hat er nicht. Er hat nur 20.000 Songs gespeichert, die er nie abhören, aber immerhin jedermann berichten kann – so nervzerfetzend geht es zu in seinem Leben -, dass er nun 20.000 Songs gebunkert hat.
Man kann bei bei Werner Herzog schauen, bei Wolfgang Büscher, auch bei Landolf Scherzer, bei Michael Holzach: Diese ganzen größeren Reportagebücher, in denen jemand zu Fuß geht, sind alle eher schwülstig, eher klassisch geschrieben, der Referenzraum ist das Deutsche an sich, der 2. Weltkrieg, dieses große Ding namens Geistes- und Kulturgeschichte, das da erwandert werden soll. Bei dir geht es auch schonmal um Britney Spears. Bist du, trotz allem, ein Pop-Schreiber?
Ich mag deinen Kommentar, ich finde auch, die Herren sind bisweilen ein bisschen pompös. Mir fehlt das Grinsen, die Alltagswut, der Unterleib, das Vulgäre, die Heimlickeiten. Trotzdem, mit dem Pop, ich weiß nicht, der „Volkskunst“, da werde ich nicht warm. Wenn ich mir Frau Madonnas Texte anschaue, die sie im reifen Alter von 50 dem „Volk“ schenkt, dann will ich eher nicht zu dem Verein gehören. Und die Spears wird ja nur deshalb von mir zitiert, um sie als trällernde Discoziege zu denunzieren.
Ich erinnere mich, dass wir auf Sansibar mal über einen Artikel gesprochen haben, in dem es um, ich glaube, Angelina Jolies Unterwäsche ging. Für dich war das Symptom von etwas, dass du eine schreckliche Oberflächlichkeit der Welt genannt hast, oder, wie du in „Im Land der Regenbogenschlange“ schreibst: „Wo immer man ankommt, zwei Sorten Menschen sind schon da: Die Bombenleger und die ‚simple minds’“. Wenn man sich nicht schneller bewegen kann, entkommt man dem Schrecklichen, wenn man sich langsamer bewegt?
Die Unterwäsche der Jolie war es sicher nicht, denn die Frau gefällt mir, auch, was sie redet, auch die gewissen Filme, die sie dreht. Vielleicht waren es die Unterhosen von Herrn Beckham. Zugegeben, mich wurmt, wenn ich mir vorstelle, welchen öffentlichen Raum diese Armen im Geiste einnehmen. Das ist bedauerlich. Andrerseits wurmt mich auch, dass es mich wurmt, ich sollte entspannen. So bleibt die Frage: Wie der weltweiten Bimboisierung entkommen?
Man kann zwei deiner Bücher fast wie Gegenentwürfe nebeneinander legen: In 33 Tage –34 Nächte gehst du von Paris nach Berlin zu Fuß. In Einmal rundherum reist du in 60 Tagen um die Welt. Ich bilde mir ein, dass sich dieser Unterschied auch stilistisch bemerkbar macht, nicht?
Wie wahr, bei sechzig Tagen um die Welt ist der Stil zügiger, anekdotischer. Nun, superehrlich: in sechzig Tagen reist man nicht um die Welt. Doch es hat sich damals so ergeben und ich konnte dem Angebot nicht widerstehen.
Braucht man für beide Arten der Unternehmung dieselbe Art von Wahnsinn? Oder tut der Wahnsinn nur, als wäre er Wahnsinn, und eigentlich ist Schreiben über das Gehen eine Art Mode geworden?
Vom Wahnsinn scheinen mir nicht nur Langstreckengeher befallen. Vier Stunden pro Tag vor der Glotze verfaulen – laut Statistik der deutsche Durchschnitt - ist auch wahnsinnig. Allerdings der mürbe Wahn, der verblödende. Ja, ich habe davon gehört, dass Gehen jetzt Mode geworden ist. So wenigstens plappert die Presse, um mal wieder einen neuen Hysterie zu verbreiten. Ich bin nicht modisch, ich habe ein Buch darüber geschrieben und damit hat es sich. Weil ich es wollte und nicht, weil irgendjemand mich drängte, den Zeitgeist (wenn das kein Widerspruch ist) zu bedienen. Jetzt ist das Thema für mich erledigt, die Krone als Deutschlands erstem Wandervogel habe ich nicht übernommen.
Du erwähnst in 33 Tage – 34 Nächte öfter Werner Herzogs Spaziergang nach Paris, außerdem Büschers Berlin – Moskau. Es gibt ja auch noch haufenweise andere, die ähnliches unternommen haben. Was sind das, Vorbilder, oder einfach nur: Andere, solche, die etwas Ähnliches unternommen haben?
Jeder helle Mensch ist mein Vorbild. Ich kann nicht genug davon haben. Und ich zitiere immer dann, wenn ich denke, die Sprache des anderen könnte mein Buch verschönern. Ich zitiere allerdings auch andere, die doofen Anderen. In diesem Fall, um sie zu bloßzustellen, ihre Flachköpfigkeit und Frechheit, mit der sie sich trauen, unser aller Lebenszeit zu stehlen.
Wer ist das? Die anderen, die sich schneller fortbewegen? Oder überhaupt solche, die sich anders fortbewegen?
Sagt mir nichts die Frage. Die müssen jene beantworten, die sich anders fortbewegen.
Gibt es Reisen, die misslungen sind oder dich im Schreiben in unpassende oder unpraktische Richtungen führten?
Misslungen? Nein, denn ich lerne auf jeder Reise, auch auf jenen, zu denen man nie wieder aufbrechen will. Selbst wenn ich schwer genervt zu Hause wieder lande. Lernen ist vergnüglich. Misslungen wäre eine Reise, von der ich so ignorant wie zuvor zurückkehrte.
„Etwas wie Scham fiel auf mich angesichts der Ungeheuerlichkeit des Satzes „Ich gehe heute nach Moskau“ – das ist Wolfgang Büscher. Warum ist das so ungeheuerlich?
Ich vermutete beim Lesen des Buches, dass ihn die schiere Entfernung schreckte, ihm ungeheuerlich vorkam. Nur eine Vermutung, frag Büscher. Ein ausgezeichnetes Buch übrigens, der Mann ist ein kluger Mensch, gebildet, ein Sprachmensch. Bravo.
"33 Tage – 34 Nächte": Wann tun die Füße weh? Und wann tun sie nicht mehr weh?
Sie tun vorher schon weh. Eine Art Phantomschmerz, der sich einstellt, wenn man nur daran denkt. Und aufgehört hat es etwa zwei Wochen danach.
Worum geht es in diesem Buch überhaupt? Also, außer um Andreas Altmann?
Ach, was für eine giftige Frage. Ein Kritiker meinte einmal, Altmann wäre ein Durchlauferhitzer. Da, wo er auftaucht, wird es hitzig, Energien entstehen, Auseinandersetzung. Und so ist auch dieses Buch. Ich gehe durch fünf Länder und AA trifft die Welt. Oder umgekehrt. Es geht, wie in jedem einigermaßen intelligenten Buch, um Männer oder Frauen und wie sie in bestimmten Situationen miteinander umgehen. Einmal bravourös, einmal lavierend, einmal schäbig, oft auf der Hut, bisweilen tapfer.
Deine anderen Bücher sind relativ geschlossener Text. "33 Tage – 34 Nächte" besteht hauptsächlich aus kürzeren Notizen. Einfache Frage: Warum?
Wohl aus körperlicher Schwäche. 33 Mal im „Jahrhundert-Sommer“ 2003 vierzig Kilometer wegputzen, ohne Ruhtag, dabei ungewaschen, unausgeschlafen, unterernährt, schweißtropfend und immer auf dem Sprung, um einen Pump anzulegen, das zehrt. Da wird man geizig mit seinen Bewegungen, auch mit dem Bedürfnis, im finstern Wald langatmig zu philosophieren.
Mal ganz banal gefragt: Wie muss ich mir deinen Schreibprozess vorstellen, wenn du zu Fuß gehst? Das geht jetzt gar nicht so sehr auf die großen Reisen, sondern auch auf kleinere Erkundungstouren: Wie merkst du dir, was du dir merken willst? Und wie notierst du es?
Ganz banal geantwortet: Ich merke mir meistens nichts, sondern ziehe eiskalt einen kleinen Schreibblock aus meiner linken Hemdentasche und notiere. Geht das nicht – weil der andere nicht wissen soll, dass ich seine Sätze aufschreibe, weil keine Zeit ist, weil beide Hände gerade mit anderen Dingen beschäftigt sind -, dann lade ich die Worte und Eindrücke runter auf mein Hirn, mein Zwischenlager. Dafür habe ich es, vermute ich mal.
Gibt es feste Beobachtungsroutinen oder Muster, die du im Gehen verfolgst und hast du dieses Beobachten gelernt und üben müssen? Inwieweit ist dein Reisen eine Technik?
Ich habe keine Technik, zumindest nicht bewusst. Ich habe aber vor Jahren einen Satz von Henry Miller auswendig gelernt: „Stay hungry!“ Und so mache ich mich hungrig – nach Erfahrung, nach Mitmenschen, nach Intensität und Heftigkeit – auf den Weg.
Gibt es Konstanten, feste Punkte, die du beim Schreiben brauchst? Orte, die gesetzter sind, an denen du während der Arbeit bleiben willst?
Klar gibt es die. Immer da, wo ein viereckiger Tisch steht, wo Stille umgeht, wo gerade kein Dodel die Anmut der Welt erledigt. Wo der „flow“ sich einstellt, um dem furchtbar anstrengenden Geschäft des Schreibens nachzugehen.
Wann ergeben sich Strukturen? Wie lebt man gegen das „und dann... und dann...“ einer Reise?
Verstehe die Frage nicht.
Die Heldenreise, die klassische Queste, hat so viele Analogien und deckungsgleiche Punkte mit modernen dramaturgischen Entwürfen, dass die Idee der Reise wie bei einem Palimpsest durch fast alle Erzählungen hindurch zu schimmern scheint. Das ist ein schönes Bild. Aber es nivelliert: wo sind die Strukturen und Erzählentwürfe, die deiner Poetik entgegenstehen? Die Gegenrichtung oder das Andere?
Ach, ich habe mich längst von dem Irrglauben verabschiedet, ich hätte die Sprache, das Reisen, das Schreiben übers Reisen erfunden. Bin wie wir alle nur Epigone, wie einer, der es auch versucht, auch palimpsestiert. Jetten wir zwei zur Venus, dann haben wir was Neues zu erzählen, sprich, ich erzähle nie was Neues, alles, aber wirklich alles, wurde längst veröffentlicht. Das Einzige, was man versuchen kann: einen anderen Blickwinkel zu finden. Einen anderen Blick auf die Angelegenheiten der Welt zu werfen. Das freut den geneigten Leser. Redet David Beckham, fällt Stroh auf die Erde, redet (redete) Susan Sontag, glitzern die Sterne am Firmament.
Begreifst du Erwartungen (oder, umgekehrt: Erfahrenes, Erinnertes) im Gehen und Beobachten als notwendig? Wie viel davon nimmt man mit; was trägt man überall mit sich herum; wie tief beeinflusst das: Woher du kommst? Wohin du willst?
Woher soll ich das wissen? Das sind höchst komplexe, komplizierte Vorgänge. Höchste Chemie. Und denke ich an meine Abiturnoten in den Naturwissenschaften, so weiß ich, dass ich nicht der kompetente Mann bin, um darüber Auskunft zu geben
Was ist eigentlich mit Lesereisen? Hast du Spaß daran?
Spaß habe ich nie, das Wort steht bei mir auf der Liste totgefickter Wörter. Spaß haben Spaßvögel. Ich will Freude, Innigkeit, gar Leidenschaft. Und die empfinde ich auf Lesereisen. Wenn die Bude voll ist, der Veranstalter umtriebig, das Publikum intelligent und die Kasse stimmt. Freudlos werde ich, wenn ich gegen eine Horde Schlafmützen antreten muss, die den Eingang zum Bierzelt verfehlt hat und jetzt bei mir hockt.
Woher kommt beim Unterwegssein, vor allem beim Unterwegssein ohne Geld, die Freiheit, die du beschreibst, die aber auch zum Beispiel bei Michael Holzachs "Deutschland umsonst" zentral scheint?
Das hat was. Eben den Beweis antreten, dass ein Leben auch dann noch – zumindest über einen gewissen Zeitraum hinweg – sinnenfreudig und heftig sein kann. Auch dann noch, wenn all das Haushaltsgerümpel, die Sicherheitsfluchten, das Daunenbettchen und die samtweichen Frotteehandtücher verschwunden sind. Weil mir was einfallen muss, weil ich gefordert bin, weil ich mich nicht mehr als degeneriertes Wohlstandswürstchen fühle, das nur noch auf „Wohlfühloasen“ – gibt’s ein dämlicheres Wort? – über die Runden kommt. Weil ich mich dann auf grandiose Weise am Leben fühle. Welch Privileg.
Wie wählst du deine Ziele?
Als Reporter habe ich kaum gewählt, da mir Vorschläge gemacht wurden. Die mir (fast) alle gefielen. Da jeder Auftraggeber wusste, dass ich nicht als Schreibhure für die Trockenhauben-Fachzeitschriften zur Verfügung stehe, kamen die richtigen Angebote.
Wo bleibt man stehen und wie lange? Wann musst du weiter? Wann steckst du fest?
Unbeantwortbar. Ich bin nicht Franz Beckenbauer, der zu allen Fragen des Lebens eine wohl gesetzte Antwort weiß. Ich weiß schon wieder keine, kenne aber den Satz von Bert Brecht: „Die Wahrheit ist immer konkret“, soll sagen, wo und wie lange man stehen bleibt und wo und wann man weiter muss, das ergibt sich aus der konkreten Lage.
„Ich wusste augenblicklich, dass mich andere Sehnsüchte jagen. So kam mir die Idee von Paris nach Berlin zu marschieren“, schreibst du im Vorwort von "33 Tage – 34 Nächte", später schreibst du, dass du dich deinem Verleger, und deinem Vorschuss verpflichtet fühlst. Mal angenommen, ich glaube dir kein Wort davon. Was ist deine Motivation, diesen Marsch anzutreten? Oder, anders gefragt: Wovor flüchtest du eigentlich?
Dein Nicht-Glauben zeigt deutlich, dass du dir einen Autor als moralische Anstalt wünscht, einen, der rechtschaffen auf Geld spuckt und rastlos sich von inneren Werten nährt. Mitnichten! Zuerst einmal bin ich Profi. Das habe ich als Reporter gelernt, der allein über 50 Reportagen für GEO geschrieben hat. Du bekommst einen Vorschuss, deine (oft teuren) Spesen werden bezahlt und du, der Reporter, ist verpflichtet, eine gute Story nach Hause zu bringen. Das ist ein fairer Deal und ich habe ihn immer respektiert. Der Verleger überweist die Knete und erwartet als Gegenleistung ein ansehnliches Buch. Und, wie offensichtlich, treiben noch andere Sehnsüchte. Die für diesen Fußmarsch und ALLE meine Reisen gelten. Im Grunde nur eine Sehnsucht: Die panische Angst, dass ich – wenn ich nicht die Flucht ergreife - vom Grind des ganz normalen, stinkfaden, markerschütternd banalen Alltags eines ordentlichen Bürgers eingeholt werde. Ich bestehe auf den thrill, ich will erschöpft und ohne Wüstenrot-Häuschen abtreten. Ich will, dass mir am letzten Tag der Wind durchs Haar fährt und ich noch immer – grinsend – staune über das Glück meiner gelungenen Flucht: vor der Trostlosigkeit einer Existenz als Dünnmann, der lebenslänglich den Schrei in seinem Busen erstickt hat. Das klingt pathetisch, aber so ist es.
Geht es vielleicht darum, schutzlos zu sein?
Ja, auch. Aber nicht immer. Ich will schutzlos sein, wenn das Ausgeliefertsein mich an Nähe und Erkenntnis heranführt. Ansonsten gehe ich in Deckung. Auch mein Masochismus hat Grenzen.
<Du schreibst, es steht sogar im Klappentext von "33 Tage –34 Nächte", dass immer zwei Menschen laufen: Der erschöpfte, halbtote, der immer dem Aufgeben nahe ist, und der Schreiber, der sich über jede Qual freut, weil es dann was zu schreiben gibt. Wo ist der Punkt, an dem diese Schizophrenie aufhört? Ab wann kann man, wie Michael Holzach, als sein Hund Feldmann in Deutschland umsonst fast stirbt, sagen: „Ich bin ich“?
Weiß ich nicht. Der Punkt kommt sicher, an dem die nächste Qual zuviel wird. Aber ich bin ja nicht auf einem Bein und ohne Sonnenbrille vom Nordpol zum Südpol gehüpft, sondern nur von Paris nach Berlin getrottet. An das eine Ich glaube ich übrigens nicht. Nicht zwei Seelen schlagen in unserer Brust – dass ich nicht lache - sondern tausend oder tausend mal tausend.
Michael Holzach ist ja später gestorben bei dem Versuch, Feldmann zu retten, den Hund, mit dem er vorher drei Monate lang durch Deutschland gewandert war: Der Hund fiel in einen Kanal, und Holzach sprang hinterher. Feldmann überlebte, Holzach nicht. Der Hund war Holzachs einziger Reisegefährte, und er hat ihn offenbar extrem liebgewonnen über die Zeit. Kannst du das nachvollziehen?
Zuerst einmal: Holzach hat ein ungemein sympathisches Buch geschrieben. Den Mann hätte ich gern kennen gelernt. Einen, der, so denke ich, im besten Sinne des Wortes „eigensinnig“ war, ein Schürfer, einer, der seine Leser bereichert. Nun, zur konkreten Frage. Als mich ARTE kontaktierte, um einen Film über mein Buch zu drehen, dachte ich sofort an die von dir beschriebene Szene, dachte: „Hoffentlich ersaufe ich nicht dabei.“ Denn Holzachs Tod ereignete sich ja während der Dreharbeiten zu „Deutschland umsonst“. Ob ich das nachvollziehen kann? Was für eine absurde Frage. Das Herz will einem brechen, wenn man sich diesen 21. April 1983 vorstellt. Das war für alle eine Tragödie, nicht zuletzt für Feldmann.
Du schreibst in „33 Tage – 34 Nächte“, dass du glaubst, später würde dieser Spaziergang dich vielleicht einmal verändern. Und? Ist was passiert?
Da muss ich mich gnadenlos selbst zitieren, mitten aus dem Buch, denn die Antwort ist, schon wieder, komplex: „....Ich glaube bestimmt, dass Gehen und Einsamsein und Herausforderungen annehmen jeden reicher machen, der sich darauf einlässt. Ohne Frage. Schwerwiegende sinnliche Erfahrungen - mit Hilfe seiner fünf, sechs Sinne erlebt – verändern. Aber ich glaube auch, dass die Ernte solcher Expeditionen viel unspektakulärer ausfällt, als die durch und durch Erschütterten behaupten. Ich vermute, dass der Ertrag solcher Erlebnisse erst nach langer Inkubationszeit sichtbar wird. Von ‚instant gratification’ keine Rede. Konkret: Monate nach der Ankunft in Berlin (sollte ich ankommen) werden mir ein paar Kraftquellen und eine klarere innere Struktur gehören, die ich vorher nicht kannte. Vielleicht. Hoffentlich. Auch möglich, dass ich mit nichts anderem mein Ziel erreiche als mit der Diagnose abgewetzter Gelenke und zu Tode gekränkter Füße…“ Ob was passiert ist? Na sicher, und sicher, wie angedeutet, nichts Spektakuläres. Großzügiger den Bums auf der Straße gegenüber, weniger moralistisch. Das schon. Am deutlichsten allerdings die Veränderung meines Kontos. Um ein Haar hätte mich der Bankdirektor angerufen und mir gedroht, es wegen Überfüllung (!) sperren zu lassen. Ein superverkauftes Buch, ein Preis, ein Film, soll keiner sagen, dass Hühnerzehen und andere Verwachsungen sich nicht auszahlen.
Losgehen ist schwer, klar, aber auch romantisch. Der letzte Satz in Büschers "Berlin - Moskau ist": „Und, was machen wir jetzt?“ Wie schwer ist es anzukommen?
Nicht schwer, ich bin froh, wieder auf meinem eigenen Futon zu liegen. Immer reisen müssen scheint mir eine Strafe der Parzen. Ich muss, wie mein Bauch, die Zeit haben dürfen zu verdauen: die Männer und Frauen, die Freuden und Ängste, die Niederlagen und (kleinen) Siege, die hinter mir liegen. Und dann schreibe ich das Buch und dann langweilt mich das fertige Produkt und ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.
Ich habe den Eindruck, über deine Unternehmung, über diese Ungeheuerlichkeit, den Weg ohne Geld zu machen und auch noch zu laufen, werden die Geschichten der Fremden fast zweitrangig. Wären, ohne diese ganzen Strapazen, die Stories Fremder nicht weniger zweitrangig gewesen?
Welch Griesgram-Frage. Soll ich mich auf dem Bauch werfen und um Nachsicht betteln, weil ich (auch) von mir berichte? Liegt doch in der Natur der Sache. Ich schurigle mich, ich dampfe, ich lege mich in den Straßengraben, ich stinke vor Dreck. Aber neben dem Autoren-Ich treten die vielen anderen Ichs auf. Das Buch birst vor Geschichten über die Fremden, die mir über den Weg liefen. Sie sind im Augenblick der Begegnung nicht zweitrangig, sie sind dann so wichtig wie jede andere Story, auch die meine.
Dieselbe Frage, nur noch mal anders: Michael Holzachs "Deutschland umsons"t hat eine extrem starke sozialkritische Dimension. Es erschien in den 80ern – aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass du auch versuchst, in 33 Tage – 34 Nächte ähnlich – oder zumindest ein wenig - sozialkritisch zu sein. Aber dieser Versuch scheint verloren zu gehen, in der starken Subjektivität des Buchs: Du bist öfter allein.
Ja, ich stänkere. Ich bin ein eher emotionaler Mensch, ich mags, wenn Reibung entsteht. Ich begehe ununterbrochen die drei Todsünden des klassischen Journalismus: Ich sage „Ich“, ich ergreife Partei, ich zeige Gefühle. Das macht noch keinen besseren Reporter aus mir. Auch keinen edleren. Ich misstraue ja meinen eigenen moralischen Klimmzügen. Schaue ich mir genau zu, so sehe ich keinen redlicheren Menschen als jene, die ich kritisiere. Trotzdem maule ich. Dass ich öfter allein bin, auch logisch. Holzach ist ja immer wieder bei Leuten geblieben, hat dort gearbeitet. Ich nicht, ich musste jeden Tag weiter, da war nicht eine Unze Energie übrig, um nebenbei noch als Stallknecht, Melker und Faktotum aufzutreten.
Keine Abschlussfrage. Erzähl einfach kurz, was du noch nie erzählt hast, und was du auch nie jemandem erzählen würdest.
Gott nein. Ich habe gerade eine formidable Lust, den Mund zu halten!-
Interessante Story, aber doch sehr lang. Respekt!
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