Montag, 26. November 2012

Spielen mit Geschlecht


Im März 2008 war ich Teil der Festivalzeitungsredaktion des Theaterfestivals Körber Studio junge Regie, und mal abgesehen von Diskussionen mit einer Masse dieser m.E. immer eher merkwürdigen Theatermenschen darüber, wozu nun eigentlich Theaterkritik gut sei, war es eine gute Woche voller Festivalzeitungswahnsinn und keinem Schlaf. Ich habe dafür eine Reportage geschrieben, und mich zwei der vielen Regisseurinnen des in dem Jahr zweitplatzierten Stücks "Bodycheck" in Hamburg getroffen. Es ging um Geschlechterbilder, und wir wanderten über die Reeperbahn. Der erste Satz dieser Reportage ist einer meiner besten, finde ich nach wie vor.



Spielen mit Geschlecht

Mit Bodycheck auf der Reeperbahn



Geschlechtsteil. Bild von hier
Von der "Ritze" gehen wir Richtung Große Freiheit. Grauer Nachmittag über der Reeperbahn, Melanie Hinz kennt hier irgendwo ein Café, erzählt aber erstmal von Riesendildos. „So ein Durchmesser.“
Sie hält die Hände 10 Zentimeter auseinander. Kein privates Interesse, erklärt sie, Recherche, für ein neues Theaterprojekt, auf Kampnagel, über Rausch und Befriedigung. Melanies Tick ist, ihre mittellangen, dunklen Haare hinters Ohr zurückzustreichen, aber dafür sind sie nicht lang genug. 
„Alleine“, hat Melanie am Telefon gesagt, „sollten wir uns nicht treffen.“ 
Sinje Kuhn ist also mit dabei, und so sitzen wir im Café Roosen in der „Rauchergrotte“ – so nennt es der Wirt – auf einem leicht verwesten Sofa. Das Roosen ist ein Kiezcafé, wie man es findet, wenn man von der Reeperbahn eine Weile mit dem Neonlicht im Rücken geht: Schummrig, von den Wänden bröckelt immer mal was ab und das Sofa ist gemütlich, wenn man nicht darüber nachdenkt. 


 „Bodycheck“ ist eine Produktion, wie man sie im Dunstkreis der Universität Hildesheim typisch ist: Mit dem Wort „Theater“ lässt sich da nur wenig anfangen, es ist eher eine Collage, ein assoziatives Bilder- und Formensammelsurium zwischen Theater, Performance und Bildender Kunst, dazu ein Chor, der ordentlich Druck macht, irgendwann zieht sich jemand aus und eine Sauerei gibt es auch. Aber „das war so eigentlich gar nicht geplant“, sagt Melanie, „das ist mehr zufällig.“ „Ist halt typisch Hildesheim“, sagt Sinje, „ob wir das jetzt wollten oder nicht.“ Das einzig geplant hildesheimelige war das Regiekonzept, und das ist auch der Grund, aus dem Sinje mit dabei ist. „’Bodycheck’ ist kein Regietheater“, sagt Sinje, nippt an ihrem Latte. Sinjes Tick ist, dass sie manchmal eine Strähne ihrer braunen, lockigen Haare zum Mund führt. „Eigentlich“, sagt Melanie, Café auf Lait„ müssten wir zu viert hier sitzen, „Mark und Claudia haben genauso Regie geführt wie ich und Sinje.“ 
„Das wird schwer“, sagt Sinje, „Mark ist in Bremen, beim Moks, und Claudia ist in Stockholm.“ „Eigentlich müsste hier auch das ganze Bodycheck-Ensemble sitzen“, sagt Melanie, „wir sind keine Regisseurinnen, wir sind Theaterpädagoginnen“ 
„Wir haben das Stück sozusagen aus dem Ensemble herausgeholt, sagt Sinje.  „Alle,“ sagt Melanie, „haben Regiarbeit geleistet.“
Melanie und Sinje beim Reden zu beobachten ist, als beobachtete man Zahnräder eines Uhrwerks ineinandergreifen. Vielleicht muss man sich die Entstehung von „Bodycheck“ ähnlich vorstellen: Viele kleine Rädchen greifen ineinander und bewegen etwas Großes. Das Große, das ist der performative Essay, den „Bodycheck“ über Geschlecht verfasst. Die kleinen Rädchen sind  nicht nur Reflektions- und Regiearbeit der 23 Beteiligten, sondern auch Behind the scenes: „Bodycheck“ war anfangs zwei Projekte. Im Rahmen des Projektsemesters 2006 zum Thema „kollektivKörper“ an der Universität Hildesheim plante Marc-Oliver Krampe, jetzt beim Moks in Bremen, ein reines Männerprojekt, das aber mit „Bodycheck“ zusammengelegt wurde, und „Bodycheck“ wiederum wurde ein kollektivKörper aus 14 Frauen und fünf Männern, der über sein Geschlecht diskutierte, die Ergebnisse reflektierte, diskutierte und in Bilder umsetzte, von denen man sagen könnte, dass sie drastisch sind, oder angemessen: Im Dienste der Geschlechtsverwirrung übergießen sich nackte Frauen mit Milch, nackte Männer mit Bier, schlagen sich Frauen gegenseitig auf die Brüste. „Körpereinsatz“, so Melanie, „haben wir von Anfang an gefordert.“  
Diskussionen über Geschlecht und Sexualität – mal nach Männern und Frauen getrennt, mal nicht – „erzeugten Intimtät und Zusammenhalt“ in der Gruppe. Und so gingen alle morgens vor der Probe joggen -uniformiert in Unterhemden und blauen Jogginghosen, Genderkrieger in der Grundausbildung - und zogen sich auf der Bühne aus. 
„Wir beginnen mit Geschlechterklischees“, sagt Sinje, „und versuchen dann, etwas Neues zu konstruieren.“ 
„Es gab auch Theorie, zum Beispiel Judith Butler“, sagt Melanie, „aber wir mussten feststellen, dass die reine Theorie viel weiter ist, als wir es sind.“  
Am Ende von ‚Bodycheck“  ist die Geschlechterordnung nicht aufgelöst, trotz aller Mühen des „mixed-gender-kollektivs“, zu dem die Männer und Frauen von „Bodycheck“ werden. 
„Das Ende“, sagt Sinje, „ist eine Utopie, mit allen guten und schlechten Implikationen, die das mit sich bringt.“ 
Sinje und Melanie sind keine Missionarinnen, keine Hardliner-Feministinnen. Sie sind nette Menschen, die ein Problem damit haben, wenn man sie Feministinnen nennt. Lieber einigen sie sich auf die Wendung „geschlechtersensible Person“, müssen aber doch ein wenig lachen, weil es so offensiv politisch korrekt ist. 
 „Feminismus“, sagt Melanie, „hat ein schlechtes Image. Da stellt man sich immer diese Harcore-Emanzen vor, wie in den 70ern mit ihren Masturbationskreisen. Der neue Feminismus ist da ein gutes Stück weiter.“ 
„Deshalb haben wir auch“, sagt Sinje, „in Bodycheck einen Masturbationskreis drin, ins Ironische gewendet. Mit Bananen.“ 
Das Gespräch stockt, als ein Mann in unsere Rauchergrotte kommt, der behauptet, dass alle Bioprodukte „Verarsche“ sind. Er sagt das zu niemand Bestimmtem. Melanie und Sinje sehen sich an und lachen. „Demnächst“, sagt Melanie, ohne dass es eine Verbindung gäbe, „läuft wieder ‚Germanys next Topmodel’“ 
“Das sehen wir uns zusammen an“, sagt Sinje. „Feindbewegungen studieren“, sagt Melanie, und: „Poprethorik hat Potential, wenn man eine Denkweise an die Massen bringen will.
„Deshalb“, sagt Sinje,  „ist ‚Bodycheck’ auch Pop geworden. Es soll unterhaltend und vielleicht sogar konsumierbar sein,aber auch zum Nachdenken anregen über die Mechanismen, mit denen wir Geschlecht konstruieren.“  
Die Fragen, die Bodycheck aufwerfen soll, lauten ungefähr so: Warum ist es anders, Männern beim zuzuschauen die sich küssen als Frauen? oder: Wie fühle ich mich, wenn nackte Frauen sich mit Milch übergießen, oder nackte Männer mit Bier? „Über so was denkt der ideale Zuschauer nach“, wirft Sinje ein und erzählt, dass es auch mal anders kam. „Da war diese Gruppe Männer, die filmten die Frauen bei den Nacktszenen mit Handykameras.“
 „Es geht darum“, sagt Melanie „den Zuschauern zu zeigen, dass ihre Welt und die bei uns auf der Bühne gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Auch wenn wir vieles überdrehen, ‚Bodycheck’ wurzelt mehr in den Geschlechtervorstellungen, die wir mitgebracht haben als in der Theorie.“  Beide schweigen. Wir rauchen eine letzte Zigarette als Opfer an die Rauchergrotte und gehen ein Stück über die Reeperbahn, Richtung „Boutique Bizarre“. Davor zögern wir ein wenig, aber schließlich gehen wir doch hinein, und Sinje fragt sich laut, ob es einen Porno gibt, der „Bodycheck“ heisst. Melanie entdeckt das Dildomodell „Oral Sex Plus“ mit „realistic dong“. Man kann es sich um die Brust schnallen, und Melanie sagt, „Das sind ja mal ganz neue Geschlechtermodelle.“ 
Sinje findet zwischen Karotte und Gurke eine Plastikbanane, und freut sich, weil es das auch gibt.

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